Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
erreicht, so kommen ihm schon die Heerscharen desselben entgegen, die ihm sagen, daß sie vom Schah gesandt worden seien, den Dschamikun Hilfe zu bringen. Der Schah hat also die Bitte des Ustad erhört, noch ehe sie zu ihm gelangte. Der Schah ist aber Gott, und so interpretiere ich durch diese Erzählung die christliche Lehre vom Gebete in Math. 6,8: »Euer Vater weiß, was Ihr bedürfet, ehe Ihr ihn bittet!« Uebrigens ist der Ustad kein Anderer als Karl May, und die Dschamikun sind das Volk seiner Leser, welches von den Sillan vernichtet werden soll. Ich erzähle also rein deutsche Begebenheiten im persischen Gewande und mache sie dadurch für Freund und Feind verständlich. Ist das nicht Gleichnis? Nicht bildlich? Gewiß? Und ist es etwa mystisch? Nicht im Allergeringsten! Es ist so offenbar Gleichnis und so wenig mystisch, daß mir, offengestanden, ein Jeder, der das Erstere bestreitet und das Letztere behauptet, als ein Mensch erscheint, der einen Namen verdient, den ich nicht nennen will. Wer guten Willens ist und nicht mit unbedingt feindlicher Absicht an das Lesen meiner Bücher geht, wird ohne Weiteres finden, daß ihr Inhalt fast nur aus Gleichnissen besteht. Und ist er einmal zu dieser Einsicht gelangt, so bleiben ihm ganz sicher die zahlreichen Himmelsmärchen nicht verborgen, die in diesen Gleichnissen eingestreut liegen und den eigentlichen, tiefsten Inhalt meiner Reiseerzählungen zu bilden haben. Diese Märchen sind es auch, aus denen sich mein eigentliches Lebenswerk am Schlusse meiner letzten Tage zu entwickeln hat.
Ist doch gleich meine erste Gestalt, nämlich Hadschi Halef Omar, ein Märchen, nämlich das Märchen von der verloren gegangenen Menschenseele, die niemals wiedergefunden werden kann, außer sie findet sich selbst. Und dieser Hadschi ist meine eigene Anima, jawohl, die Anima von Karl May! Indem ich alle Fehler des Hadschi beschreibe, schildere ich meine eigenen und lege also eine Beichte ab, wie sie so umfassend und so aufrichtig wohl noch von keinem Schriftsteller abgelegt worden ist. Ich darf also wohl behaupten, daß ich gewisse Vorwürfe, die mir von meinen Gegnern gemacht werden, keineswegs verdiene. Würden diese Gegner es einmal wagen, so offen über sich selbst zu sprechen wie ich über mich, so würde das sogenannte Karl May- Problem schon längst in jenes Stadium getreten sein, in welches es zu treten hat, mag man wollen oder nicht. Denn dieses Karl May-Problem ist auch ein Gleichnis. Es ist nichts Anderes, als jenes große, allgemeine Menschheitsproblem, an dessen Lösung schon ungezählte Millionen gearbeitet haben, ohne etwas Greifbares zu erreichen. Ganz ebenso hat man schon Jahrzehnte lang an mir herumgearbeitet, ohne es weiter zu bringen als zu der traurigen Karikatur, als die ich in den Gehirnen und in den Schriften Derer lebe, die sich berufen wähnen, Probleme zu lösen, dies aber immer nur da tun, wo keine vorhanden sind.
Ich nenne ferner das Märchen von »Marah Durimeh«, der Menschheitsseele, von »Schakara«, der edeln, gottgesandten Frauenseele, der ich die Gestalt meiner jetzigen Frau gegeben habe. Das Märchen vom »erlösten Teufel«, vom »eingemauerten Herrgott«, vom »versteinerten Gebete«, von den »verkalkten Seelen«, von den »Rosensäulen des Beit-Ullah«, von dem »Sprung in die Vergangenheit«, von der »Dschemma der Lebendigen und Toten«, von der »Schlacht am Dschebel Allah«, vom »Mahalamasee«, vom »Berg der Königsgräber«, vom »Mir von Dschinnistan«, vom »Mir von Ardistan«, von der »Stadt der Verstorbenen«, vom »Dschebel Muchallis«, von der »Wasserscheide von El Hadd« und noch viele, viele andere. Wie man bei einem geistig und seelisch so bedeutsamen, ja schweren Inhalte meine Bücher als »Jugendschriften« und mich als »Jugendschriftsteller« bezeichnen kann, würde unbegreiflich sein, wenn man nicht wüßte, daß Alle, die diesen Fehler begehen, sie entweder nicht begriffen oder überhaupt nicht gelesen haben. Selbst »Winnetou«, der so leicht zu lesen zu sein scheint, bedarf, wenn er sich im vierten Bande zum Schlusse neigt, eines Nachdenkens und eines Verständnisses, welches doch gewiß keinem Quartaner und keinem Backfisch zuzutrauen ist! Wenn man trotzdem noch ferner bei den Ausdrücken »Jugendschriften« und »Jugendschriftsteller« bleibt, so muß ich das als einen gewollten Unfug bezeichnen, zu dem sich kein anständiger, ernster Kritiker hergeben wird.
Gibt man aber ehrlich und der Wahrheit gemäß zu, daß
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