Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
lehnte es ab.«
»Ach, nun weiß ich, warum die Hofgesellschaften so wenig Gnade vor dir finden. Lewin hat mir den Grafen beschrieben; aber ich möcht’ ihn gern von dir geschildert hören.«
»Denk ihn dir als das Gegenteil von dem Konrektor, dem ich heute vormittag das Glück hatte vorgestellt zu werden. Wie hieß er doch?«
»Othegraven!«
»Richtig, Othegraven. Ein hübscher Name, ursprünglich adlig. Aber diese bürgerliche Abart, welche pedantische Figur! Er hält sich gerade, aber es ist die Geradheit eines Lineals.«
»Du mußt ihn auf das hin ansehen, was er ist.«
»Dann kann er als vollkommen gelten; denn er ist der Schulmeister, wie er im Buche steht.«
»Ich sehe doch, wie recht Tante Amelie hatte, als sie neulich von dir sagte: Kathinka ist eine Polin. Nur die Deutschen, wie mir erst gestern wieder unser Seidentopf versicherte, verstehen es, von äußerlichen Dingen abzusehen. Meinst du nicht auch?«
»Nein, Närrchen, ich meine es nicht; es ist nur deutsch, sich in diesen und ähnlichen Eitelkeiten zu gefallen. Und ich will auch nicht daran rütteln, ebensowenig wie an den Verketzerungen, die über uns Polen von langer Zeit her im Schwunge sind. Nur zweierlei wird man uns lassen müssen: Leidenschaft und Phantasie. Und nun laß dir sagen, Schatz, wenn es etwas in der Welt gibt, das imstande ist, über Äußerlichkeiten hinwegzusehen, so sind es diese beiden. Der Graf ist ein schöner Mann, aber ich versichere dich, er wäre mir derselbe, wenn er auch diesem Othegraven wie sein leiblicher Zwillingsbruder gliche. Denn bei der vollkommensten äußeren Ähnlichkeit würde diese Ähnlichkeit doch aufhören, weil er eben innerlich von Grund aus ein anderer ist.«
»Ein anderer. Aber ob ein besserer?«
»Es genügt ein anderer. Es gibt prosaische und poetische Tugenden. Laß uns über den Wert beider nicht rechten. Ich möchte dich nur dahin bekehren, daß es nicht Form und Erscheinung ist, wiewohl ich beide zu schätzen weiß, was mir den Grafen wert und angenehm macht.«
»Und so wär’ es denn was?«
»Beispielsweise seine Treue. Denn, unglaublich zu sagen, die Polen können auch treu sein.«
»Es gilt wenigstens nicht als ihre hervorragendste Eigenschaft.«
»Um so mehr ziert sie den, der sie hat. Und ich möchte Bninski dahin zählen. Als Kosciuszko im letzten Treffen, das über Polen entschied, am Saume eines Tannenwäldchens lag, das er drei Stunden lang gegen Übermacht verteidigt hatte, stand ein Fahnenjunker, ein halbes Kind noch, neben ihm und deckte den von Blutverlust ohnmächtig Gewordenen mit seinem jungen Leben. Er hätte sich retten können, aber er verschmähte es. Endlich überwältigt, bat er um eines nur: seinen gefangenen General pflegen und dieselbe Zelle mit ihm teilen zu dürfen. Dieser Fahnenjunker war der Graf.«
Marie, die bis dahin von ihrer Handarbeit nicht aufgeblickt hatte, sah Kathinka mit ihren großen Augen an.
Kathinka aber, den Blick freundlich erwidernd, fuhr fort: »Siehe, Renate, das war Treue; nicht solche, wie ihr sie liebt, die jeden heimlichen Kuß zu einer Kette für Zeit und Ewigkeit machen möchte, aber doch auch eine Treue und nicht der schlechtesten eine. Und wie der Fahnenjunker war, so blieb er. Er war mit in Spanien. Das polnische Lancierregiment, das er führte, Tubal hat mir davon erzählt, nahm einen Engpaß; den Namen hab’ ich vergessen; aber sie sagen, der Fall stehe einzig da in der Kriegsgeschichte. Unter den wenigen, die den Tag überlebten, war der Graf. Nach Paris schwerverwundet zurückgeschafft, empfing er aus des Kaisers Hand das rote Band der Ehrenlegion. Und ich darf sagen, es kleidet ihn… Nein, Renate, du verkennst mich und dich nicht minder. Wir empfinden gleich. Alles Poetische reißt uns hin, und Steifheit und Pedanterie, auch wenn sie Othegraven heißen, lassen uns kalt. Das ist nicht polnisch, das ist weiblich. Frage Marie.«
»Ich werde die Frage nicht tun«, scherzte Renate, »denn du mußt wissen –«
»So will ich antworten, ohne gefragt zu sein«, unterbrach Marie mit Unbefangenheit. »Alle Welt schätzt den Konrektor, unser Pastor liebt ihn –«
»Aber du , könntest du ihn lieben?«
»Nein. Nie und nimmer, und wenn er Kosciuszko verteidigte oder einen Engpaß stürmte. Er ist vielleicht mutig, aber ich kann ihn mir nicht als Helden vorstellen. Ich bedauere, wenn ich ihm unrecht tue. Wen ich lieben soll, der muß mich in meiner Phantasie beschäftigen. Er beschäftigt mich aber überhaupt
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