Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Art Präsidentenstuhl umgewandelten Lehnsessel Platz. Er war kein Meister in der Rede, aber Amt und Situation ließen ihm keine Wahl.
»Meine Herren«, hob er an, »ich heiße Sie willkommen. Wir sind leider nicht vollzählig. Unsere beste kritische Kraft ist ausgeblieben: Doktor Saßnitz hat sich brieflich entschuldigt. Dagegen freue ich mich, Ihre Aufmerksamkeit auf eine stattliche Reihe von Vorlagen, darunter auch Drucksachen, hinlenken zu können. Unter diesen Drucksachen stehen diejenigen Publikationen obenan, die von früheren Mitgliedern der Kastalia herrühren. Es sind dies ›Die Ahnen von Brandenburg‹ , ein epischer Hymnus von Friedrich Graf Kalkreuth, und die vor wenig Tagen erst bei J. E. Hitzig hierselbst erschienenen ›Dramatischen Dichtungen‹ von Friedrich Baron de la Motte Fouqué, unter denen sich, neben altnordischen Sachen, auch ›Die Familie Hallersee‹ und ›Die Heimkehr des Großen Kurfürsten‹ befinden, die während des vorigen Winters in unserem Kreise zuerst gelesen und mit so viel Jubel aufgenommen wurden.«
Hier unterbrach sich Lewin, um die beiden genannten Bücher kursieren zu lassen. Dann fuhr er fort: »An neuen Beiträgen für die heutige Sitzung sind fünf Arbeiten eingegangen, sehr verschieden an Umfang: lyrische oder lyrisch-epische Dichtungen, ferner Tagebuch- und Erinnerungsblätter aus Spanien und Rußland. Es ist Regel, mit den lyrischen Sachen zu beginnen und alles, was dem Gebiete der Erzählung angehört, folgen zu lassen. Ich ersuche Herrn Kandidaten Himmerlich, uns seine, wenn ich recht gesehen habe, aus dem Englischen übersetzten Strophen vorlesen zu wollen. Sie führen den Titel: ›Der Sabbat‹.«
Mit diesen Worten überreichte Lewin das Blatt.
Jürgaß war bei Nennung der Überschrift in ziemlich demonstrativer Weise mit der linken Handfläche über das Kinn gefahren.
Himmerlich, in unverkennbarer nervöser Unruhe und eifrig bemüht, das mehrmals eingekniffte Blatt wieder glatt zu streichen, wiederholte zunächst: »Der Sabbat, Gedicht von William Wilberforce.«
»Ist das derselbe Wilberforce«, fragte Jürgaß, »der den Sklavenhandel abgeschafft hat?«
»Nein, im Gegenteil.«
»Nun, er wird ihn doch nicht wieder eingeführt haben?«
»Auch das nicht. Der einen so berühmten Namen führende junge Dichter, mit dem ich Sie heute bekanntmachen möchte, ist Fabrikarbeiter. Wenn ich sagte, ›im Gegenteil‹, so wollte ich damit ausdrücken, daß er selber noch in einer Art von Sklaverei steckt. Ich fühle das Unlogische meiner Wendung und bitte um Entschuldigung.«
»Gut, gut, Himmerlich. Nicht immer gleich empfindlich.«
»Jede Art von Empfindlichkeit ist mir durchaus fremd. Ich bitte aber, da ich einmal das Wort habe, einige Bemerkungen vorausschicken zu dürfen. Es ist Ihnen allen bekannt, daß die englische Sprache mit kurzen Wörtern überreich gesegnet ist und daß dieselbe, nicht immer, aber oft, in einer einzigen Silbe das zu sagen versteht, wozu wir deren drei gebrauchen. Weibliche Reime, um auch das noch zu bemerken, haben die Engländer so gut wie gar nicht.«
»Wie verwerflich!«
»Aus diesen sprachlichen Unterschieden erwachsen Schwierigkeiten, auf die wenigstens kursorisch einzugehen Sie mir gütigst gestatten wollen.«
»Nein, lieber Himmerlich, vorbehaltlich präsidieller Entscheidung ›gütigst nicht gestatten wollen‹. Ich habe bis hierher geschwiegen, sehr wohl wissend, jedes Huhn kakelt, ehe es sein Ei legt. Aber diesem bis zu einem gewissen Grade nachzugebenden Naturrecht steht, wenn es auszuschreiten droht, das geschriebene Recht der Kastalia gegenüber. Paragraph neun unserer Statuten regelt die Frage der Vorreden ein für allemal und gibt diesen selber ihr zuständiges Maß. Auch von dem Redefeuer gilt des Dichters Wort: ›Wohltätig ist des Feuers Macht, wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht.‹ Ich habe den Eindruck, daß das statutenmäßig vorgesehene Maß bereits überschritten wurde, und bitte deshalb unseren Herrn Vorsitzenden, auf Vortrag der Dichtung selbst dringen zu wollen.«
Lewin nickte zustimmend, und Himmerlich, indem er sich leicht verfärbte, begann mit vibrierender Stimme:
»‘s ist Sabbatfrüh’, und noch im Sinken spendet
Ein zaubrisch Licht des Vollmonds Silberpracht.
Es ist noch früh, die Mitte kaum beendet
Der stillen, sternenblassen Sommernacht;
Schon hab’ ich froh mich auf den Weg gemacht
Am Rain entlang, entlang an Wald und Auen
Und harre nun, auf daß der Tag erwacht,
Um
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