Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Arioststrophe angesehen werden. Ihre Reimstellung ist freilich anders, sie hat auch nicht acht Zeilen, sondern neun und geht in eben dieser neunten Zeile aus dem fünffüßigen Jambus in den Alexandriner über…«
»Ist aber nichtsdestoweniger eigentlich ein- und dasselbe. Ich beneide Sie, Himmerlich, um diese Schlußfolgerung.«
Eine gereizte Debatte schien unausbleiblich; Lewin indessen schnitt sie geschickt ab, indem er bemerkte, daß es nicht Aufgabe dieses Kreises sein könne, die größeren oder geringeren Verwandtschaftsgrade zwischen Spencerstrophe und Ottaverime festzustellen. Er müsse bitten, auf die Dichtung selber einzugehen, wenn es nicht vorgezogen würde, trotz einiger kleiner Ausstellungen des Herrn von Jürgaß, die warmen Worte, in denen sich ihr immer treu befundenes Mitglied Buchhändler Rabatzki bereits geäußert habe, einfach als Urteil und Dankesausdruck der Kastalia selbst zu akzeptieren.
Hierauf wurde nicht nur überhaupt eingegangen, sondern auch mit einer Bereitwilligkeit, deren ironischer Beigeschmack von dem unglücklichen Himmerlich sehr wohl herausgefühlt wurde.
»Wir wenden uns nunmehr dem zweiten der eingegangenen Beiträge zu«, fuhr Lewin fort. »Es sind Strophen unseres sehr verehrten Gastes, des Herrn Hansen-Grell, den in kürzester Frist als Mitglied dieses Kreises begrüßen zu dürfen ich als meinen persönlichen, übrigens von allen Mitgliedern der Kastalia geteilten Wunsch ausgesprochen haben möchte. Ich bitte Herrn Hansen-Grell, seine Strophen lesen zu wollen.«
Dieser zog, um des Tabakrauches willen, der bereits seine Schleier auszuspannen anfing, das Licht etwas näher an sich heran und begann dann ohne Zögern mit ruhiger, aber sehr eindringlicher Stimme: »Seydlitz ; geboren zu Calcar am 3. Februar 1721.«
»Ist das die Überschrift?« unterbrach Jürgaß.
»Ja«, war die kurze Antwort.
»Nun, da bitt’ ich doch bemerken zu dürfen, daß mich dieser Titel noch mehr überrascht als Bau und Reimstellung der Himmerlichschen Spencerstrophe. ›Geboren zu Calcar am 3. Februar 1721‹, das ist die Überschrift eines Nekrologs, aber nicht eines Gedichtes!«
»Und vor allem eine Überschrift«, erwiderte Hansen-Grell in heiterer Laune, »die niemand anders verschuldet hat als Herr von Jürgaß selbst. Ohne seine Abneigung gegen alles, was einer Captatio benevolentiae ähnlich sieht, würde der Titel meines Gedichtes einfach ›General Seydlitz‹ gelautet haben; aber jeder Möglichkeit beraubt, das mir unerläßliche ›geboren zu Calcar‹ auf dem herkömmlichen Vorredewege zu Ihrer freundlichen Kenntnis zu bringen, ist mir nichts andres übriggeblieben, als jene biographische Notiz gleich mit in die Überschrift hineinzunehmen.«
»Und so haben wir doch wieder eine Vorrede gehabt…«
»Weil wir keine haben sollten. – Aber ich bin zu Ende.« Und Hansen-Grell las nun ohne weitere Störung:
»General Seydlitz
In Büchern und auf Bänken
Da war er nicht zu Haus,
Ein Pferd im Stall zu tränken,
Das sah schon besser aus;
Er trug blanksilberne Sporen
Und einen blaustählernen Dorn, –
Zu Calcar war er geboren,
Und Calcar, das ist Sporn.
Es sausen die Windmühlflügel,
Es klappert Leiter und Steg,
Da, mit verhängtem Zügel
Geht’s unter dem Flügel weg;
Und bückend sich vom Pferde,
Einen vollen Büschel Korn
Ausreißt er aus der Erde –
Hei, Calcar, das ist Sporn.
Sie reiten über die Brücken,
Der König scherzt: ›Je nun,
Hie Feind in Front und Rücken,
Seydlitz, was würd’ Er tun?‹
Der, über die Brückenwandung
Setzt weg, halb links nach vorn,
Der Strom schäumt auf wie Brandung –
Ja, Calcar, das ist Sporn.
Und andre Zeiten wieder;
O kurzes Heldentum!
Er liegt todkrank danieder
Und lächelt: ›Was ist Ruhm?
Ich höre nun allerwegen
Eines besseren Reiters Horn, –
Aber auch ihm entgegen,
Denn Calcar, das ist Sporn.‹«
Ein Jubel, wie ihn die Kastalia seit lange nicht gehört hatte, brach von allen Seiten los und legte, wie Hansen-Grell, um sich dadurch weiteren Ovationen zu entziehen, scherzhaft bemerkte, ein vollgültiges Zeugnis von der kavalleristischen Zusammensetzung der Dienstagsgesellschaft ab. Er traf es hiermit richtig: Bninski, Hirschfeldt, Meerheimb waren Kavalleristen von Fach, Tubal und Lewin gute Reiter. Aber auch die Minorität ließ es an lebhaften Beifallsbezeugungen nicht fehlen; Bummcke, wenn nicht Reiter, war doch wenigstens Soldat, Rabatzki tadelte nie, und
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