Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
andachtsvoll dem Schauspiel zuzuschauen,
Vor dessen Majestät die Herzen übertauen.
Die Lerche wacht; mit flatterndem Gefieder
Erhebt sie sich, verschmähend unsre Welt,
Und wie sie steigt, so werden ihre Lieder
Von Lust und Wohlklang mehr und mehr geschwellt;
Das Wasserhuhn, als würd’ ihm nachgestellt,
Entflieht vor mir mit hast’gem Flügelschlagen,
Sogar das Lamm erschrocken innehält,
Und statt am Grase ruhig fortzunagen,
Reißt es vom Pflock sich los, um übers Moor zu jagen.«
An dieser Stelle erfuhr die Vorlesung durch das Erscheinen der Frau Hulen, die mit dem Teebrett eintrat, eine Unterbrechung. Lewin, immer voll Mitgefühl mit Poeteneitelkeiten, schon weil er sie selber durchgemacht hatte, winkte mehrmals, daß sich die Alte zurückziehen möchte; aber es war schon zu spät, und Himmerlich hatte durch ein minutenlanges Martyrium zu gehen. Er dankte kurz, als das herumgehende Tablett auch an ihn kam, schickte der endlich wieder verschwindenden Alten einen Blick voll tragikomischen Hasses nach und fuhr dann mit gehobener Stimme fort:
»Nun wird es hell, und sieh, der Berge Gipfel
Erglühen purpurn, und der Feuerball
Der Sonne selbst vergoldet schon die Wipfel
Und scheucht ins Tal der Nebel feuchten Schwall;
Und höher in die Kuppel von Kristall
Will sich der ew’ge Strahlenquell erheben,
In Höh’ und Tiefe Licht wird’s überall,
Bis schlucht-entlang die letzten Schatten schweben –
Ein neuer Tag ist da und atmet neues Leben.
Jetzt laß mich, Gott, Gemeinschaft mit Dir halten!
Quell aller Weisheit, Herr und Vater mein,
Du siehst mein Herz, Dir spricht mein Händefalten,
O laß Dein Licht auf meinen Wegen sein;
Gib mir die Kraft – Du gibst sie nur allein –,
Aus Sünd’ und Schwachheit mich herauszuschälen,
Und lehre mich an Deines Auges Schein
Des eignen Auges matten Sinn zu stählen,
Auf daß die Lust ihm wird, den rechten Pfad zu wählen.«
Kaum daß die letzte Zeile verklungen war, so erhob sich Buchhändler Rabatzki von seinem Platz und sagte in einem Ton, in dem Wichtigkeit und Bescheidenheit beständig miteinander rangen:
»Meine Herren! Ohne Ihrem kompetenteren Urteil« (»Sehr gut, Rabatzki!«) »irgendwie vorgreifen zu wollen, bitt’ ich nur einfach von meinem vorwiegend geschäftsmännischen Standpunkt aus bemerken zu dürfen, daß ich mich glücklich schätzen würde, diese Strophen in der nächsten Nummer meines Sonntagsblattes, und zwar ausnahmsweise an der Spitze desselben, bringen zu können. Ich bitte Herrn Himmerlich, mich dazu autorisieren, zugleich aber auch in einer Anmerkung einige kurze biographische Notizen über den englischen Dichter, der mir seines berühmten Namensvetters durchaus würdig zu sein scheint, geben zu wollen.«
Über Himmerlichs Gesicht, der diese schmeichelhaften Worte Rabatzkis als ein gutes Omen für alles Kommende ansah, flog es wie Verklärung. Er sollte seines Triumphes aber nicht lange froh bleiben. Jürgaß klopfte den Fidibus aus, mit dem er eben eine frische Pfeife angeraucht hatte, und sagte: »Unseres Freundes Rabatzki sonntagsblattliche Begeisterung in Ehren, eines möcht ich wissen: ist es ein Bruchstück?«
»Nein.«
»Dann gestatten Sie mir die Behauptung, daß Ihr Sabbat zwar ein Ende, aber keinen Schluß hat.«
»Es wird sich darüber streiten lassen. Ich glaube nicht, daß es nötig war, meinen Morgenspaziergänger bis an seinen Frühstückstisch zurückzubegleiten.«
»Und ich meinerseits möchte bezweifeln, daß Sie dem Gedichte durch eine solche gemütlich-idyllische Zutat geschadet hätten. Indessen, lassen wir das. Aber die Form, die Form, Himmerlich! Sagen Sie, was sind das für sonderbare Strophen?«
»Es sind sogenannte Spencerstrophen.«
»Spencerstrophen?« fuhr Jürgaß fort, »ich finde diesen Namen fast noch sonderbarer als die Verse selbst.«
»Ich nehme an, Herr von Jürgaß«, antwortete Himmerlich in einem immer erregter werdenden Tone, »daß Sie mit dem Bau der Ottaverime vertraut sind, jener achtzeiligen schönen Strophen, in denen Tasso und Ariost ihre unsterblichen Werke, den Orlando furioso und das Gerusalemme liberata, dichteten.«
Jürgaß, der sich auf diesem Gebiete nichts weniger als zu Hause fühlte, rauchte stärker und suchte seine wachsende Unsicherheit hinter einem mit der Miene der Superiorität gesprochenen »Und nun?« zu verbergen.
»Und nun?« griff Himmerlich das letzte Wort auf, »die Spencerstrophe mag als ein Geschwisterkind dieser Tasso- und
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