Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Himmerlich fühlte sich erleichtert, seine Verstimmung hinter enthusiastischen, wenn auch kurzen und etwas krampfhaften Ausrufungen verbergen zu können. Gewann er doch für sich selbst und nebenher noch das Wohlgefühl neidloser Charaktergröße.
Endlich hatte sich die Aufregung gelegt, und Tubal bat ums Wort, was ihm zu verschaffen, bei einer zwischen Bummcke und Jürgaß über die Zulässigkeit der Wendung »halb links nach vorn« eben wieder ausgebrochenen Privatfehde, einigermaßen schwer hielt. Zuletzt aber gelang es, und Tubal bemerkte nun: »Ich bitte zunächst an einen Satz erinnern zu dürfen, den Dr. Saßnitz vor einiger Zeit an dieser Stelle aussprach: ›Unsere Strenge ist unser Stolz‹. Sie fühlen, daß dies die Brücke ist, auf der ich zu einem Angriff vorgehen möchte. Der Reiz des Gedichtes, das wir eben gehört, liegt ausschließlich in seinem Ton und seiner Behandlung; es ist keck gegriffen und keck durchgeführt, aber es hat von dieser Keckheit offenbar zu viel.«
»Kann nicht vorkommen«, warf Jürgaß ein.
»Doch«, fuhr Tubal fort. »Unser verehrter Gast hat dies auch selbst empfunden.«
Hansen-Grell nickte.
»Jedes Kunstwerk, so wenigstens stehe ich zu diesen Dingen, muß aus sich selber heraus verstanden werden können, ohne historische oder biographische Notizen. Diesen Anspruch aber seh’ ich in diesem Gedichte nicht erfüllt. Es ist eminent gelegenheitlich und auf einen engen oder engsten Kreis berechnet, wie ein Verlobungs- oder Hochzeitstoast. Es hat die Bekanntschaft mit einem halben Dutzend Seydlitzanekdoten zur Voraussetzung, und ich glaube kaum zuviel zu sagen, wenn ich behaupte, daß es nur von einem preußischen Zuhörer verstanden werden kann. Lesen Sie das Gedicht, auch in bester Übersetzung, einem Engländer oder Franzosen vor, und er wird außerstande sein, sich darin zurechtzufinden.«
Bninski schüttelte den Kopf.
»Unser verehrter Gast, Graf Bninski«, fuhr Tubal fort, »scheint mir nicht zuzustimmen. Es freut mich dies um des Dichters willen, dem ich, von unerwarteter Seite her, einen Verteidiger erstehen sehe. Der Graf hat vielleicht die Freundlichkeit, sich eingehender über diesen Gegenstand zu äußern.«
Lewin wiederholte dieselbe Bitte.
»Ich kann mich auf wenige Bemerkungen beschränken«, nahm der Graf in gutem, wenn auch polnisch akzentuiertem Deutsch das Wort. »Ich kenne von General Seydlitz nichts als seinen Namen und seinen Ruhm, glaube aber das Gedicht des Herrn Hansen-Grell vollkommen verstanden zu haben. Ich ersehe aus seinen Strophen, daß Seydlitz zu Calcar geboren wurde, daß er das Lernen nicht liebte, aber desto mehr das Reiten. Dann folgen Anekdoten, die deutlich für sich selber sprechen, zugleich auch seine Reiterschaft glorifizieren, bis er in der letzten Strophe jenem besseren Reiter erliegt, dem wir alle früh oder spät erliegen. Dies wenige ist genug, weil es ein Ausreichendes ist. Hier steckt das Geheimnis. Ich habe mich in Jahren, die länger zurückliegen, als mir lieb ist, um die Volkslieder meiner Heimat gekümmert, auch vieles davon gesammelt, überall aber hab’ ich wahrgenommen, daß das sprungweise Vorgehen zu den Kennzeichen und Schönheiten dieser Dichtungsgattung gehört. Die Phantasie muß nur den richtigen Anstoß empfangen; ist dies geglückt, so darf man kühn behaupten: ›Je weniger gesagt wird, desto besser.‹«
»Ich bescheide mich«, erwiderte Tubal, »um den Fortgang unserer Sitzung nicht länger als wünschenswert unterbrochen zu sehen. Wenn ein unbefugter Blick in den Pappbogen unseres Herrn Vorsitzenden mich nicht falsch orientiert hat, so haben wir zunächst noch einige von ihm selber herrührende Strophen zu erwarten.«
»Der Scharfblick unseres Freundes Ladalinski hat sich auch diesmal wieder bewährt. Es war meine Absicht, die lyrische Reihe heute persönlich abzuschließen, bitte aber, meinen Beitrag, der noch der Feile bedarf, zurückziehen zu dürfen.«
Lewin sprach diese Worte nicht ohne Verlegenheit, da es in Wahrheit ein sehr anderer Grund war, der ihn von seiner ursprünglichen Absicht abzustehen veranlaßte. Wußt’ er doch am besten, aus welcher zaghaften Stimmung heraus die drei kleinen Strophen geschrieben worden waren, um die es sich handelte; und wie sehr sich diese Zaghaftigkeit schließlich auch in das Gewand der Hoffnung gekleidet haben mochte, doch war es ihm zu Sinn, als ob Bninski mit feinem Ohr den elegischen Grundton des Liedes heraushören und die Veranlassung dazu erraten
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