Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
zurück.
»Wie geht es, Lewin?«
»Ich denke, gut.«
»Ich denke, gut! Das ist mir nicht gut genug. Wie schmeckte die Suppe?«
»Gut.«
»Das ist recht. So muß es heißen. Nichts von Kopfweh?«
»Nein.«
Der Doktor nahm jetzt selber die Hand und zählte den Puls. Als er damit geendet hatte, sah er, daß der Kranke vor Erschöpfung wieder eingeschlafen war. »Stören wir ihn nicht.«
So verließen sie das Zimmer und nahmen erst draußen auf der Treppe das Gespräch wieder auf. »Es geht alles, wie es soll. Krisis überstanden; alle Zeichen der Genesung da. Kein Fieber; nur matt, matt. Aber jede Stunde Schlaf bringt ihn um eine Woche weiter. Morgen wird er aufstehen wollen, und übermorgen kann er reisen.«
»Und wir?«
»Wir reisen morgen schon und bestellen ihm Quartier«, antwortete der Doktor.
»Und schicken ihm Krist und den Planschlitten.«
»Getroffen. Den wollt’ ich eben empfehlen. Und einen tüchtigen Häckselsack in den Rücken. Denn im Kreuz wird es wohl noch fehlen.«
Damit hatten sie den Unterflur erreicht und standen vor der Gaststube, in der dem Doktor noch ein Warmbier vorgesetzt werden sollte. Aber er dankte, »denn er müsse noch bis Reitwein«. Und als die Krügersfrau nichtsdestoweniger fortfuhr, in ihn zu dringen, schnitt er endlich jede weitere Verhandlung durch das eine Wort »Wöchnerin« kategorisch ab. Das half. Tante Schorlemmer wurde noch verlegener als Renate.
Unter dem Vorbau hielt bereits der Wagen des Alten. Er schickte sich eben an, hinaufzusteigen, als er seinen Fuß von dem Tritteisen wieder zurückzog. »Der alte Leist wird alt; hätte die Hauptsache beinahe vergessen«, und dabei begann er in den Tiefen seiner Manteltasche herumzusuchen. Endlich fand er ein dickes, rotledernes Notizbuch, das zugleich als chirurgisches Besteck diente, und nahm einen Brief heraus: »An Renate von Vitzewitz.«
Nun erst stieg er auf. »Auf Wiedersehen in Hohen-Vietz.« Renate und die Schorlemmer erwiderten seinen Gruß.
Der Brief aber war von Marie.
Viertes Kapitel
Genesen
Und es kam alles, wie Doktor Leist gesagt hatte. Am andern Morgen verlangte Lewin aufzustehen und fühlte sich trotz aller Mattigkeit doch kräftig genug, das Zimmer zu verlassen und unten unter dem Vorbau von Renate und Tante Schorlemmer Abschied zu nehmen. Es war des Krügers Gespann; Kemnitz selber fuhr. Er zeigte sich quicker, als seine Gewohnheit war, und als Renate auf ihn hinwies und der Krügersfrau ein gutgemeintes Wort über seine Raschheit ins Ohr flüsterte, sagte diese nicht ohne einen gewissen Stolz: »Oh, er kann schon. Aber er läßt es an sich kommen. Und das ist es eben.« In der nächsten Minute nahmen beide Damen ihre Plätze; Kemnitz hakte das Schutzleder ein und stieg nun auch seinerseits über das Rad weg auf den Kutschersitz ohne Lehne. Noch ein Händedruck, und der Wagen verschwand an der andern Seite der Kirche.
Lewin ging in sein Zimmer zurück. Er hatte sich mehr angestrengt, als seine Kräfte zuließen, und warf sich jetzt angekleidet aufs Bett, nicht um zu schlafen, wohl aber um zu ruhen. Allerhand Bilder zogen an ihm vorüber, wechselnd und phantastisch, aber immer eines aus dem andern sich gestaltend. Er sah Frau Hulens dunkle Küche und den kleinen Wachsstock, den er in der Herdasche mit so viel Mühe angezündet hatte, und aus dem Wachsstock ward eine Kerze, und aus der Kerze wurden zwölf Kerzen, und alle zwölf brannten zu beiden Seiten eines Sarges, darin lag die Tante, die schwarze Witwenhaube tief in die Stirn gerückt. Und neben dem Sarge standen kleine Zypressenbäume, die wuchsen und wuchsen hoch wie Pappeln, und nun war es eine Pappelallee, und zwischen den Pappeln kam ein Wagen rasch herangefahren, dem lief er nach und wollte rufen, aber die Stimme versagte.
Alles dies kam und ging und kam wieder, ohne daß es ihn ernstlich beunruhigt hätte. Ein Druck lag auf ihm, bleiern, aber schmerzlos, und unter dem Einfluß einer beinahe süßen Betäubung wurde das Nächstliegende wie in weite Ferne gerückt und das Wirkliche zum Traum. Erregungen der Phantasie, nichts weiter, und von Empfindungen nur eine: die Sehnsucht nach Hohen-Vietz.
Und nun war wieder ein Tag und eine Nacht vergangen; der helle Morgen schien in die Fenster, und es mochte die zehnte Stunde sein. Krist, der bald nach Mitternacht mit dem Planschlitten und einer ganzen Winterausstattung von Pelzröcken, Schals und Filzstiefeln eingetroffen war, war bereits im Stalle beschäftigt, den beiden Braunen
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