Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Scheiben. Sonst war nichts hörbar als das Zwitschern eines Zeisigs und das Klappern von Tante Schorlemmers Nadeln. So verging eine halbe Stunde, während welcher die Frauen vor sich hin oder auf den Kranken sahen. Jetzt traf die Sonne sein Gesicht, und Renate flüsterte: »Sieh, er träumt. Und etwas Freundliches muß es sein.« Und ehe die Schorlemmer antworten konnte, gingen draußen die Glocken, und Lewin erwachte. Sein erster Blick fiel auf die Schwester. Er erkannte sie und sagte: »Renate.«
Diese war aufgesprungen, nahm ihn in ihre Arme und rief einmal über das andere: »Mein lieber, lieber Lewin.« Tante Schorlemmer strickte weiter, aber ihre Lippen zuckten. Als Lewin sie bemerkte, nickte er ihr zu und gab ihr die Hand.
Es war ersichtlich, daß er noch sehr matt war. Sie legten ihm ein Kissen in den Rücken, so daß er mehr saß als lag, und sein Auge lief nun im Zimmer umher, um sich zurechtzufinden.
»Wo bin ich?«
Sie nannten ihm den Namen des Dorfes. Er schüttelte den Kopf, schien sich aber zu besinnen und fragte dann: »Wo ist Papa?«
»In Guse.«
»In Guse? Warum in Guse?«
Renate und Schorlemmer sahen einander an und wußten nicht, was antworten. Aber Renate faßte sich bald und sagte ruhig:
»Tante Amelie ist tot.«
»So, so… wie alt war sie?«
Es blieb bei der Frage, denn sein Bewußtsein begann wieder zu schwinden, und einen Augenblick später lag er abermals in tiefem Schlaf. Und doch war er dem Leben wiedergegeben, er hatte gesprochen, und beide Frauen reichten sich in freudiger Bewegung und wie zum Ausdruck ihres Dankes die Hand.
So war eine halbe Stunde vergangen, als die Krügersfrau in sichtlicher Erregung eintrat. »Eben kommt der Zug«, rief sie und vergaß, was sie doch sonst immer tat, ihre Stimme zu dämpfen. »Die Orgel spielt schon. Und die Jungschen vom Amt sind auch mit dabei. Schlimm genug. Nur die Alte nicht, die hält zu uns. Jott, Jott, ich zittre.«
»Aber so machen Sie doch, liebe Frau Kemnitz, daß Sie den Zug nicht versäumen oder wenigstens mit in die Kirche kommen«, sagte die Schorlemmer und drängte die Krügersfrau gutmütig auf die Türe zu.
»Ich kann ja nicht«, lamentierte diese. »Wir sind ja Feindschaft. Und die Leute würden mit Fingern auf uns zeigen und sagen, daß wir ihnen das Glück wegwünschten. Nein, das geht nicht.«
»Ich möchte die Braut schon sehen«, sagte Renate.
»Ach, Fräuleinchen, deshalb komm’ ich ja eben. Hübsch ist sie nicht, aber, wie ich Ihnen schon sagte, sie hat so was. Und dann erzählen Sie mir nachher, wie sie aussah. Jott, ich weiß nicht, was ich drum gäbe. Ja, Fräuleinchen, Sie müssen die Braut sehen und die liebe Tante Schorlemmer, wenn ich Sie so nennen darf, auch. Vier Augen sehen mehr als zwei. Ach, da kommen sie schon; das ist die Musik, und ich darf nicht einmal ans Fenster. Und wenn ich auch dürfte, der Zug kömmt ja nicht vorbei. Und warum nicht? Bloß weil sie denken, wir haben ihnen Häcksel über den Weg gestreut.«
Renate sah der Schorlemmer nach den Augen, ob sie es auch recht fände. »Geh nur, Kind«, sagte diese, »ich komme mit. In der Kirche sein bringt nie Schaden. Du siehst dir die Braut an, und ich weiß schon, was ich zu tun habe.«
Die Krügersfrau war hocherfreut, lief hin und her und bedankte sich abwechselnd bei der Schorlemmer und bei Renaten. Dann brachte sie zwei dicke Porstsche Gesangbücher, die in Sammet gebunden und mit Metallzwingen zugehalten waren, und versprach einmal über das andere, bei dem Kranken bleiben zu wollen. »Hier hab’ ich was zu tun«, schloß sie, »und dabei vergeht mir die Zeit und ist mir am wohlsten. Es soll ihn keine Fliege stören.« Renate und die Schorlemmer aber nahmen ihre Mäntel um, sahen noch einmal auf Lewin, der ruhig weiterschlief, und verließen das Zimmer, während sich die Krügersfrau an das Fußende des Bettes setzte.
Sie konnten noch nicht über die Straße sein, als die Glocken zum drittenmal zu läuten begannen. Endlich aber wurd’ es still. »Nun singen sie«, sagte die Frau vor sich hin. »Jott, Jott, ich hätte sie so gern gesehen; er soll ihr eine silberne Kette geschenkt haben mit Schloß und Schieber. Er kann es; hat sie doch den Alten mit in der Tasche. Ein freches Ding, und dabei rotes Haar und Sommersprossen. Aber ich will nichts gesagt haben; sie steht jetzt vorm Altar. Und vielleicht ist sie nicht so schlimm. Jott, gib ihr deinen Segen und uns auch. Denn auf Kemnitz ist kein Verlaß. Und ich kann ja doch nicht alles
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