Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Stück Natur, abweichend von dem, was wir sonst wohl in unserem Sand- und Flachlande zu sehen gewohnt sind. Unsere märkischen Berge (wenn man uns diese stolze Bezeichnung gestatten will) sind entweder einfache Kegel oder Plateauabhänge. Nicht so die Müggelsberge. Diese machen den Eindruck eines Gebirgs modells , etwa als hab es die Natur in heiterer Laune versuchen wollen, ob nicht auch eine Urgebirgsform aus märkischem Sande herzustellen sei. Alles en miniature, aber doch nichts vergessen. Ein Stock des Gebirges, ein langgestreckter Grat, Ausläufer, Schluchten, Kulme, Kuppen, alles ist nach Art einer Reliefkarte vor die Tore Berlins gelegt, um die flachländische Residenzjugend hinausführen und ihr über Gebirgsformationen einiges ad oculos demonstrieren zu können.
Wir haben den Grat ohngefähr in seiner Mitte erreicht, wo er mehr eine muldenartige Vertiefung als eine Erhöhung zeigt. Die Kuppen befinden sich an den vorgeschobeneren Punkten, so daß der ganze Berg einem ausgedehnten alten Schloßbau gleicht, der hohe Erker und Altane, vor allem aber ein paar abgestutzte Ecktürme an seinen zwei Giebelseiten trägt. Diese West- und Ostkuppe der Müggelsberge gestatten die weiteste Aussicht ins Land hinein. Besonders die Westkuppe. Über den Rücken des Berges hin schreiten wir dieser letzteren zu.
Der Weg führt durch dichtes Gehölz, das wie ein grüner Wandschirm dasteht und nach keiner Seite hin einen Durchblick gestattet. Die Bäume selbst sind noch jung, und nur alle funfzig Schritte begegnen wir einigen halberstorbenen Eichen, von denen es schwer zu sagen ist, was sie vor der Axt des Holzschlägers gerettet haben mag, ihr hohes Alter, ihre malerische Schönheit oder eine abergläubisch-pietätsvolle Rücksicht gegen das Geschlecht der Spechte, die darin wohnen und auf den Müggelsbergkuppen in ähnlicher Weise heimisch sind wie die Raben und Dohlen auf den Kirchtürmen alter Städte. Sie zimmern sich mit geschäftigem Schnabel ihre soliden Nester in das harte Holz und machen, vielleicht aus Geselligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer Art Familienhaus. Oft fünfzig Nester in einem Baum. Überall huscht es heraus und hinein, pickt und kreischt, und im Vorübergehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus ihren Löchern hervorlugen und neugierig sind zu erfahren, ob Freund oder Feind im Anzuge sei.
So erreichen wir nach kurzem Gang unser Ziel, eine kahle, kreisrunde Plattform. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von einem Feuer, das erst gestern gebrannt zu haben scheint; sonst alles Sand und Kiennadeln und dicht am Abhang eine einzige Distel. Die Kiefern und Fichten, die bis dahin als dichtes Gebüsch zu beiden Seiten des Weges standen, hier haben sie sich abwärts gezogen und ragen nur noch mit ihren Gipfeln über das Plateau hinweg. In einem Riesenkranze von dunklen Nadeln bewegt sich’s um uns her, und nur eine einzige Kiefer, ein schlanker, hellroter Stamm, der stolz wie eine Pinie dasteht, ragt noch hoch auf, als ob es ein Flaggenstock wär, und streckt seine grüne Krone wie ein Wahrzeichen weit ins Land hinein.
Wir lehnen uns an den Stamm des schönen Baumes und blicken westlich auf die Bilder modernen Lebens und lachender Gegenwart. Aus der Sand- und Sumpfwüste früherer Jahrhunderte wurde hier längst ein Park- und Gartenland, und Dörfer und Städte wachsen heiter mit ihren roten Dächern und Giebeln aus allen Schattierungen des Grün hervor. Die Türme der Hauptstadt, die graugelben Wände des Köpnicker Schlosses, beide leuchten im Schein der untergehenden Sonne. Fabrikschornsteine begleiten den Lauf des Flusses, und hoch über den weißen Segeln der Kähne, die geräuschlos stromabwärts ziehen, steht bewegungslos die schwarze Wolke der Essen und Schlote. Leben überall, kein Fußbreit Landes, der nicht die Pflege der Menschenhand verriete.
Wir haben das heitere Bild in Aug und Seele aufgenommen und wenden uns jetzt, um, nach der entgegengesetzten Seite hin, in die halb im Dämmer liegende östliche Landschaft hineinzublicken. Welch Gegensatz! Die Spree zieht den Müggelsee wie einen breiten Spiegelkristall an ihrem schmalen, blauen Bande auf, und die Dahme buchtet sich immer weiter und breiter landeinwärts und schafft Inseln und Halbinseln, so weit unser Auge reicht. Auf Quadratmeilen hin nur Wasser und Wald. Nichts, was an die Hand der Kultur erinnerte. Nicht Weg, nicht Steg und keine andere Fahrstraße sichtbar als das verwirrende Flußnetz, das sich durch die scheinbar
Weitere Kostenlose Bücher