Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
endlosen Forstreviere zieht. Kein Hüttenrauch steigt auf, keine Herde weidet an den Ufern entlang, und nur eine Fischmöwe schwebt satt und langsam über dem Müggelsee. Sand und Sumpf und Wasser und Wald; es ist hier, wie es immer war, und während jetzt die Abendnebel von den Seen her aufsteigen und ihre Schleier auch um den Rand der Kuppe legen, auf der wir stehen, ist es, als stiege die alte Zeit mit aus der Tiefe herauf, und die Müggelsberge sind wieder, wie sie die künstlerische Phantasie gesehn. An den knorrigen Ästen hängen wieder Schilde, wie Mulden geformt, und lange Speere von Eschenholz stehen daneben, einzeln und in Gruppen zusammengestellt. Die verkohlten Scheite vor uns sind nicht länger mehr verkohlt, sie treiben wieder Flammen, und um die brennenden Scheite herum lagern, ihre Leiber mit Fellen leicht geschürzt, die Gestalten unsers märkischen Malers und Meisters – die Semnonen.
Wie gebannt hält uns das Bild, bis ein Geräusch uns weckt. Ein Vogel, der in dem Zweigwerk der Fichte gesessen hatte, war aufgestiegen, und sein Geschrei von Zeit zu Zeit wiederholend, flog er jetzt dem dichteren Gehölz des Berges zu. Es war ein Pirol, der nordische Wundervogel. Sein gelbes Gefieder fing die letzten Strahlen der Abendsonne auf; dann stieg er in das unter ihm liegende Dunkel der Tannen nieder.
Das Nebelbild war hin, die Aussicht wieder frei, die Scheite wieder verkohlt; von den Dörfern her aber klang die Betglocke, die den Abend einläutete.
Der Müggelsee
Glatt ist der See, stumm liegt die Flut,
So still, als ob sie schliefe,
Der Abend ruht wie dunkles Blut
Rings auf der finstern Tiefe;
Die Binsen im Kreise nur leise
Flüstern verstohlenerweise.
Schnezler
Die Spree, sobald sie sich angesichts der Müggelsberge befindet, bildet oder durchfließt ein weites Wasserbecken: die Müggel oder den Müggelsee, der mit zu den größten und schönsten unter den märkischen Seen zählt.
Da, wo die Spree den Müggelsee betritt, und ebenso da, wo sie ihn wieder verläßt – also durch die ganze Länge des Sees voneinander getrennt –, erheben sich die beiden einzigen Dörfer dieser Gegenden: Rahnsdorf und Friedrichshagen, jenes ein altes Dorf, das mutmaßlich bis in die Wendenzeit zurückreicht, dies eine Kolonie aus der Zeit des großen Königs, der es sich zur Aufgabe stellte, die bis dahin unbewohnten Müggelforsten oder, was dasselbe sagen will, die große Waldinsel zwischen der Deutschen und Wendischen Spree zu kolonisieren.
Rahnsdorf und Friedrichshagen blicken mit ihren schmucken roten Dächern auf den See hinaus, aber es sind nicht eigentliche Seedörfer; sie liegen am Ufer der Spree, nicht am Ufer der Müggel. Am Müggelsee selber, den nichts wie Sandstreifen und ansteigende Fichtenwaldungen einfassen, erhebt sich oder erhob sich wenigstens in den sechziger Jahren, als ich den See zum ersten Male sah, ein einziges Haus: die Müggelbude . Auf einer vorspringenden Sanddüne gelegen, die sich vom Westufer aus in die Müggel hinein erstreckt, ist sie oder war sie der geeignetste Punkt, um den See und seine Ufer zu überblicken.
Ebendiese Müggelbude, nach der von Köpenick aus ein reizender Spaziergang durch den Wald führt , ist Leuchtturm, Fischerwohnung und Fährhaus zugleich, aber vor allem ist sie doch Gasthaus . Sie ist es nach jenem überall hervortretenden Gesetze, welches in unwirtbaren Gegenden ein jedes einzeln stehende Haus zum Gasthause macht. Die oft angerufene und oft gewährte Hülfe führt schließlich dazu, die Hülfe zu einem Geschäft zu machen. So auch die Müggelbude. Freilich ist es ein wild-verwogenes Geschlecht, das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu finden, und der Fährmann, der erfahren haben mag, daß uns das Unglück nicht bloß zu seltsamen Schlafkameraden führt, sondern uns auch umgekehrt ebenso seltsame Schlafkameraden bringt , hat wohlweislich Vorkehrungen getroffen, um sein eigentliches Haus vor ihnen sicherzustellen. Seine Müggelbude repräsentiert ein »Gasthaus erster Klasse«; für die Unbekannten und Schlechtlegitimierten aber hat er abwärts auf dem untersten schmalen Uferstreifen eine Art Schifferghetto aufgeführt. Hier, auf einem Terrain, das sich See und Sand beständig streitig machen, erheben sich flachgewölbte Holzhütten, die sich bei näherer Besichtigung als ausrangierte Schiffskajüten erweisen. Durch die halb offenstehende Tür gewinnt man Einblick in das Innere derselben: auf vier hohen Pfosten ruht ein roh
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