Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Drittel des Weges war, erreicht werden konnte, versicherte die Gräfin schon: »es gehe nicht weiter«, auf welche nur allzu glaubhafte Versicherung hin der Wagen gewandt und der Läufer unter Zusicherung eines doppelten Wochenlohnes angewiesen wurde, »citissime nach Gröben zurückzukehren, um daselbst die nunmehr wohl oder übel an die Stelle des alten Dr. Ribke tretende ›Treutschen‹ ins Herrenhaus zu befehlen«. Und wirklich, das heimische Dorf wurde noch gerad ohne Zwischenfall erreicht; aber kaum daß die Heiducken abgesprungen und die Teppiche vom Wagen aus bis zum Portale gelegt worden waren, so war auch schon die Stunde gekommen, und in dem dicht am Eingange gelegenen Wohn- und Arbeitszimmer des Grafen, in das man die Gräfin nur eben noch hatte schaffen können, genas sie wirklich eines Knäbleins, des Grafen Leo, des erwarteten Schlabrendorfschen Stammhalters. Es hatte nicht in Berlin sein sollen; » er war für Gröben bestimmt «.
Über seine Kindheit verlautet nichts, auch nicht über seine Knaben- und Jünglingsjahre; sehr wahrscheinlich, daß er vorwiegend unter Zutun seiner Mutter – die, trotz ihrer zweiten Ehe, den Kindern aus der ersten eine große Zärtlichkeit und Treue bewies – in Pension kam und nach absolvierter Schulzeit in juristisch-kameralistische Studien eintrat. Aber eh er diese vollenden konnte, kam der Krieg und bot ihm Veranlassung, als Volontair bei den Towarczys einzutreten, einem Ulanenregiment, das vielleicht noch aus den Tagen der »alten Armee« her diesen etwas obsoleten und nur in den neunziger Jahren unter General Günther (der der »Vater der Towarczys« hieß) vielgenannten Namen führte.
Nach dem Kriege begegnen wir ihm alsbald als Regierungsassessor in Trier, wo das durch Gastlichkeit und Feinheit der Sitte sich hervortuende Haus des Generals von Ryssel ihn anzog, am meisten aber des Generals Tochter, Fräulein Emilie von Ryssel, mit der er sich denn auch, nach kurzem Brautstand, im Sommer 1820 vermählte. Zwei Jahre noch verblieb er in Trier, im schwiegerelterlichen Hause, bis er 1822 unter freudiger Zustimmung seiner jungen Frau, die die landwirtschaftliche Passion mit ihm teilte, nach Gröben hin übersiedelte, das wieder an die Schlabrendorfs zu bringen – ein von Jugend auf von ihm gehegter Wunsch – ihm um ebendiese Zeit gelungen war.
Die Verhältnisse waren ihm bei diesem Wiederankauf ebenso günstig gewesen, als sie sich für den Vorbesitzer und seine Nachkommen einundzwanzig Jahre lang eminent ungünstig erwiesen hatten. Alle Leiden und Nachwehen einer langen Kriegs- und Invasionsepoche waren zu tragen gewesen und hatten zu solcher Verschuldung des Gutes geführt, daß der nunmehrige Kaufpreis desselben in nichts weiterem bestand als in Übernahme der darauf eingetragenen Hypotheken, die sich freilich, wie gesagt werden muß, hoch genug beliefen.
Es gab nun also wieder eine wirkliche Gröbener Gutsherrschaft, und zwar eine, wie man sie lange nicht im Dorfe gekannt hatte, richtiger noch, wie sie nie dagewesen war. Ordnung und Sitte waren mit dem jungen Paare gekommen, auch Beistand in Rat und Tat, und soweit es in Menschenhände gegeben ist, dem Unglück und dem Unrecht zu wehren, soweit wurd ihm gewehrt.
Aber nicht nur die Dorfgemeinde durfte sich der neuen Gutsherrschaft freuen, die neue Gutsherrschaft wußte mit der Erfüllung ihrer nächstliegenden Pflichten auch Schönheitssinn und Sinn für das Allgemeine zu verbinden und erreichte dadurch, daß das Gröbener Herrenhaus auf drei Jahrzehnte hin ein Sammel- und Mittelpunkt geistiger Interessen wurde. Von dem Leben der großen Welt hielt man sich geflissentlich fern, aber was sich darin hervortat, insonderheit als ein »erst Werdendes« hervortat, das empfing entweder aufmunternde Zustimmung oder wohl auch Pflege, solang es solcher Pflege bedurfte. Junge Kräfte wurden unterstützt, Bilder und Büsten in Auftrag gegeben, Reisestipendien erwirkt oder persönlich bewilligt, und wie die Türen allezeit offenstanden, so standen auch die Herzen auf in dem immer sonnigen und immer gastlichen Hause. Diese Gastlichkeit enthielt sich jedes Luxus, ja verschmähte denselben, aber so schlicht sie sich gab, so grenzenlos gab sie sich auch. Und lag schon hierin ein Zauber, so lag er viel, viel mehr noch in der einfach distinguierten Lebensauffassung, die hier still und ungesucht um die Herzen warb, und in dem Ton, der der Ausdruck dieser Lebensauffassung war. Es war ganz der gute Ton jener Zeit (einer
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