Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Kopisch die weitaus besten, Talente, die sich denn auch, trotz allem Wandel der Zeiten, bis diese Stunde behauptet haben. Der am ehesten Zurückgetretene – Ferrand; er starb sehr früh – war vielleicht am hervorragendsten. Eins seiner schönsten Gedichte wurde Vorbild zu Georg Herweghs berühmt gewordenem: »Ich möchte hingehn wie das Abendrot«. Die Anlehnung ist in jedem Punkte unverkennbar. Bei Ferrand heißt es: »Ich möchte sterben jener Wolke gleich«, eine Wendung, die sich dann eingangs jeder neuen Strophe mit einer kleinen Änderung immer wiederholt.
Überblick’ ich noch einmal jene vormittags im Grunewald und nachmittags bei Anthieny verbrachten Tage, Tage, die nicht bloß Bummeltage, sondern auch Tage voll Lug und Trug waren, so schreck’ ich bei diesem Rückblick einigermaßen zusammen, ähnlich jenem »Reiter über den Bodensee«, dem sein fährlicher Ritt erst klar wurde, nachdem alle Gefahr hinter ihm lag. Ich erschrecke davor, sag’ ich, und bitte meine jungen Leser, es mir nicht nachmachen zu wollen. Eine Gefahr war es, und sie läuft nicht immer so gnädig ab. Aber, nachdem ich der Gefahr nun mal entronnen, sprech’ ich, aller Unrechtserkenntnis zum Trotz, doch auch wieder meine Freude darüber aus, der Schule dies Schnippchen geschlagen und meine ›Wanderungen durch die Mark Brandenburg‹ lange vor ihrem legitimen Beginn schon damals begonnen zu haben. Ich habe mich gesundheitlich sehr wohl dabei gefühlt und mich in den Nachmittagsstunden bei Freund Anthieny zu einem halben Literaturkundigen ausgebildet, derart, daß ich in der norddeutschen Lyrik jener dreißiger Jahre vielleicht besser beschlagen bin als irgendwer. Hätte ich statt dessen pflichtmäßig meine Schulstunden abgesessen, so wäre mein Gewissen zwar reiner geblieben, aber mein Wissen auch, und auf dem ohnehin wenig beschriebenen Blatte meiner Gesamtgelehrsamkeit würd’ auch das wenige noch fehlen, was ich dem »Freimütigen«, dem »Gesellschafter« und dem »Figaro« von damals verdanke. Mein Vater, wenn ihm meine Mutter vorwarf, »er habe alles bloß aus dem Konversationslexikon«, antwortete regelmäßig: »Es ist ganz gleich, wo man’s herhat.« Und dieser Ansicht möcht’ ich mich anschließen.
Bei manchem meiner Leser wird sich nun wohl mittlerweile die Frage gemeldet haben: »Ja, wo war denn, als alles dies sich ereignete, der zur sittlichen Pflege für Sie bestellte Pensionsvater, wo war Onkel August?« Ach, der arme Onkel August! Der hatte seinen Kopf voll ganz andrer Dinge, denn das Gewitter, das wohl schon lange zu seinen Häupten gestanden haben mochte, ging, gerad als mein Bummeln auf der Höhe stand, mit Donner und Blitz auf ihn nieder. Ein Glück, daß das Hereinbrechen der Katastrophe fast mit meinem Abgang aus seinem Hause zusammenfiel. Der Tag steht mir noch deutlich vor der Seele.
Ich kam aus der Schule, diesmal wirklich aus der Schule, und freute mich, in Coopers »Spion«, der mir gerade kurz vorher in die Hände gefallen war, weiterlesen zu können. Aber die Situation, die meiner gleich beim Eintritt in die Vorderstube harrte, ließ mich schnell erkennen, daß hier an Romanlesen nicht zu denken sei, vielmehr ein lebendiges Romankapitel sich vor mir abzuspielen beginne. Mein Onkel August, wie mir hier nachträglich einzuschalten bleibt, hatte sich, etwa fünf, sechs Monate zurück, in ziemlich rätselhafter Weise zum Vormund und Vermögensverwalter einiger Anverwandtenkinder ernannt gesehen, und an dem hier von mir zu schildernden Tage war ein mit höheren Vollmachten ausgerüsteter und wohl auch schon gut unterrichteter Freund des Anverwandtenhauses, ein Artilleriemajor, in pontificalibus erschienen, um zu recherchieren, eventuell das Vermögen der Onkel Augustschen Mündel wieder in Empfang zu nehmen. Aber wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren. Nur die Tante war, als ich eintrat, zugegen. Ein Tisch war aufgeklappt, und auf der blanken Mahagoniplatte standen Schachteln und Sparbüchsen umher, auch einige Schmucketuis, während der Raum dazwischen mit minderwertigen, ganz gleichgültigen Geldstücken ausgefüllt war. Der Major überzählte rasch, was da lag, und seine sich wie im Unmut mit hin und her bewegenden Kantillen drückten nur zu deutlich aus, daß auch dies »letzte Aufgebot« kleiner Münze ganz außerstande war, die Rechnung zu begleichen. Die Tante ihrerseits suchte durch eine merkwürdige Mischung von Liebenswürdigkeit und Würde, worauf sie sich überhaupt gut
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