Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
verstand, für das Defizit aufzukommen, aber der unerbittliche Stabsoffizier wollte von diesen doch nur eine Hinausschiebung bezweckenden Mittelchen nichts wissen, und so wurde mir denn der Auftrag, den mutmaßlich nach allerhand letzten Hülfen ausschauenden Onkel herbeizurufen. Ich fand ihn auch in der nach hinten hinaus liegenden Küche, kam aber nicht dazu, meinen Auftrag an ihn auszurichten. Denn vor ihm stand Charlotte , die zwerghafte Person mit dem Vogelgesicht und dem Doppelbuckel. Und wie stand sie vor ihm! Als der Zwergin bei der sich in den Vorzimmern abspielenden Szene die Gesamtlage klargeworden war, war ihr auch sofort zum Bewußtsein gekommen, daß ihr eigenes, aus mehreren hundert Talern bestehendes Vermögen, das sie meinem Onkel, natürlich auf dessen Beschwatzungen, anvertraut hatte, mit verloren sei, und dies ihr Erspartes, um das sie gelebt und gearbeitet, jetzt mit vor Wut zitternder Stimme von ihm zurückfordernd, überschüttete sie ihn mit Verwünschungen und Flüchen.
Mir lief es kalt über den Rücken.
Alles nahm einen elenden Ausgang, und ich war froh, daß ich drei Tage später das Haus verlassen und in anständige, wohlgeordnete Lebensverhältnisse – meine Lehrjahre begannen – eintreten konnte.
Siebentes Kapitel
Wie das so geht. Rekonvaleszenz und vergnügte Tage. Dreivierteljahr in Dresden (bei Struve). Rückkehr nach Leipzig. Allerlei Pläne. Militärjahr in Sicht
All das in dem vorstehenden Kapitel Erzählte hatte sich um Ostern sechsunddreißig zugetragen; ich war damals sechzehn Jahr.
Jetzt – in Leipzig – schrieben wir Ostern zweiundvierzig, und wenn ich damals in Berlin deprimiert und wehleidig das Haus Onkel Augusts verlassen hatte, so zog ich jetzt in gehobener Stimmung und voll Hoffnung, meinen als Gelenkrheumatismus auftretenden Nervenfieberrest endlich rasch loszuwerden, aufs neue bei meinem ehemaligen Pensionsvater ein, bei meinem Onkel August also, der bald nach seiner Berliner Scheiterung, wie hier nachträglich zur Situationserklärung bemerkt werden mag, einen Unterschlupf in der bekannten Leipziger Kunsthandlung von Pietro del Vecchio gefunden hatte. »Voll Hoffnung und in gehobener Stimmung«, sag’ ich, was nach allem, was ich vor gerade sechs Jahren in der Großen Hamburger Straße miterlebt hatte, vielleicht wundernehmen könnte. Davon war aber gar keine Rede. Daß damals in meiner Berliner Pension nicht alles gestimmt hatte, das hatte freilich an jenem denkwürdigen Tage, wo der Major mit den unmutig sich hin und her bewegenden Kantillen aufgetreten war, nur allzu deutlich zu mir gesprochen. Aber das war nun schon wieder so lange her.
Und dann, des weiteren, was stimmte damals?!
Ich war unter Verhältnissen großgezogen, in denen überhaupt nie was stimmte. Sonderbare Geschäftsführungen und dementsprechende Geldverhältnisse waren an der Tagesordnung. In der Stadt, in der ich meine Knabenjahre verbracht hatte – Swinemünde –, trank man fleißig Rotwein und fiel aus einem Bankrutt in den anderen, und in unsrem eignen Hause, wiewohl uns Katastrophen erspart blieben, wurde die Sache gemütlich mitgemacht, und mein Vater, um seinen eigenen Lieblingsausdruck zu gebrauchen, kam aus der »Bredouille« nicht heraus. Trotz alles jetzt herrschenden Schwindels möcht’ ich doch sagen dürfen: die Lebensweise des mittelguten Durchschnittsmenschen ist seitdem um ein gut Teil solider geworden. Reell und unreell hat sich strenger geschieden. Alles in allem hatte ich, wenn ich von meiner Mutter – die aber ganz als Ausnahme dastand – absehe, so wenig geordnete Zustände gesehn, daß mir die Vorgänge mit Onkel August, sosehr sie mich momentan erschüttert hatten, unmöglich einen besonderen moralischen Degout, am wenigsten aber einen nachhaltigen, hätten einflößen können. Meine jetzt grenzenlose Verachtung solcher elenden Wirtschaft trägt leider ein ziemlich verspätetes Datum.
So zog ich denn um Ostern zweiundvierzig aufs neue bei meinem Onkel August ein und war kreuzvergnügt – man vergißt gern, was einem nicht paßt –, wieder so gute Tage leben und an soviel Heiterkeit teilnehmen zu können. Ganz so wie damals, wo Figaro durch die Armbeuge sprang. Onkel August, völlig unverändert, sammelte nach wie vor Witze, konnte gut sächsisch sprechen und saß bei Bonorand und Kintschy, wie er früher »bei Liesens« gesessen und sein Spielchen gemacht hatte. Wir gingen in den Großen und Kleinen Kuchengarten, aßen in einem reizenden, nach
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