Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
inzwischen daraus geworden, vermag ich ebenfalls nicht mehr anzugeben, würde es aber beklagen, wenn es verlorengegangen sein sollte. Denn es veranschaulichte sehr gut ein Stück Alt-Berlin. Einiges steht mir noch deutlich vor der Seele. Blomberg selbst, bloß in Trikot und mit einer Schärpe darüber, stand als Jongleur auf zwei Pferden, wohl um seine Doppeltätigkeit als Maler und Dichter zu veranschaulichen. Rechts neben ihm saß ich, in einem Douglas- oder Percy-Kostüm auf einem Wiegenpferde, und hatte meine Lanze gegen einen anderen Ritter, wahrscheinlich einen Balladenkonkurrenten, eingelegt. Wer dieser andere war, weiß ich nicht mehr. Mir zur Seite stand Merckel. Der war damals »Haupt«, weshalb ihn Blomberg in pontificalibus dargestellt hatte: Frack, Eskarpins und ein breites Tunnel-Ordensband – en crachat – über die Brust. Es wirkte sehr gut, aber doch zugleich auch komisch und anzüglich, weil Merckel, von Natur schon klein, durch eine Laune des Malers noch spindeldürre Beinchen erhalten hatte. Glücklicherweise war Kugler seitens des Festkomitees zu nochmaliger Inspizierung des Bildes abbeordert worden und bestand auf Beseitigung der dünnen Beinchen. »Ja, wie das machen?« fragte Blomberg. – »Das ist Ihre Sache, so geht es nicht.« Und schließlich fand sich auch ein Ausweg. Blomberg malte ein Riesentintenfaß über die beanstandeten Beine weg, so daß nur die halbe Figur mit dem roten Crachat aus dem Tintenfaß herauswuchs.
Natürlich hatte der Tunnel auch seine Feste, die, gerade während der Zeit seiner Blüte, mit Regelmäßigkeit wiederkehrten: Faschingsfest, Stiftungsfest und ein Fest des Wettbewerbs oder der Preisdichtung. Letzteres eine Art Sängerkrieg.
Das Faschingsfest bot meist nicht viel. An eines denke ich mit einer kleinen Verlegenheit zurück. Wir hatten in Gesellschaftsanzug zu erscheinen, aber uns zugleich mit einem Extrahemd auszurüsten, das, ich weiß nicht mehr auf welches Zeichen hin, plötzlich blusenartig angelegt und zum eigentlichen Kostüm des Abends werden sollte. Dieser Moment kam denn auch. Ich meinerseits mußte jedoch die ganze Sache nicht recht verstanden oder aber, durchaus irrtümlich, den Hauptzweck dieser Verkleidung in Anlegung eines büßerhaft »härenen Gewandes« erkannt haben; kurzum, ich hatte mich mit einem langen Nachthemd bewaffnet, das, weil kurz vorher erst aus der Truhe meiner Mutter hervorgegangen, noch ganz den Charakter frisch gewebter Alltagsleinewand und vor allem auch die damit verbundene Steifheit hatte. Dieser Zustand war mir nicht recht gegenwärtig, und als ich nun auf das gegebene Zeichen rasch und urkräftig mein Kommiß-Riesenhemd entfalten wollte, gab es einen dumpfen Knall, etwa wie wenn Dienstmädchen ein Tischtuch oder eine Bettdecke auseinanderschlagen, ein Knall, dem ein für mich etwas peinliches Lachen meiner Tunnel-Brüder auf dem Fuße folgte. Selbst die Artigsten stimmten mit ein. In Erwägung, daß sich’s um eine Faschingssache handelte, konnte ich mich, wenn ich durchaus wollte, freilich als eine Art Sieger des Abends ansehen. Aber ich hätte diesen Sieg doch lieber nicht errungen.
Die Fastnachtsfeste verliefen meist mäßig, desto hübscher waren die Stiftungsfeste . Diese fielen, wenn ich nicht irre, auf den 3. Dezember. Dann waren nicht nur Gäste geladen, sondern auch die dem Tunnel längst untreu gewordenen »alten Herren« erschienen noch einmal wieder und waren jung mit den Jüngsten. Selbst Mühler, wie bereits erzählt, als er schon Jahr und Tag Minister war und die Zeiten von »Grad aus dem Wirtshaus« längst hinter sich hatte, fehlte dann selten und bezeugte die ihm durch allen Wandel der Zeiten treu gebliebene liebenswürdige Natur. In der das jedesmalige Stiftungsfest einleitenden Sitzung suchten alle durch »Späne« ihr Bestes zu tun, und bei Tische lösten sich neue und alte Lieder ab. Unter den alten stand das von Rudolf Löwenstein gedichtete Tunnel-Lied obenan, dessen erste Strophe lautet:
Zu London unter der Themse
Der mächtige Tunnel liegt,
Der Strom, scheu wie die Gemse,
Hin über die Tiefe fliegt…
Wir waren, wenn wir das sangen, immer in sehr gehobener Stimmung, beinahe gerührt, und noch in diesem Augenblick bezaubert mich ein gewisses Etwas in diesen vier Zeilen, trotzdem ich sie, nüchtern erwogen, sehr anfechtbar finde. Wer die Londoner Themse gesehen hat, wird ihr alles mögliche nachrühmen können, nur nicht den Gemsencharakter und die Scheuheit. Aber sonderbar, es gibt
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