Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
eine Einnahme dreihundert Taler und irgendeine der Sonderkassen war auf fünf Prozent angewiesen, so bekam sie in diesem Falle fünfzehn Taler. Ich habe ihn öfter über diesen Kasten sitzen sehen, grübelnd und mit Geld klimpernd. Zuweilen kam es nun vor, daß beim Bezahlen einer größeren Rechnung der Bestand dieser Kassen nicht ausreichte. Dann pumpte er bei einer besser situierten und gab ihr einen Schuldschein, wie zum Beispiel: ›Die Kleiderkasse schuldet der Stiefelkasse soundsoviel.‹ Die Schuldscheine mußten bei neu fließenden Einnahmen wieder eingelöst werden.
Er beklagte es oft, daß die Sitten der heutigen Zeit es dem Manne verbieten, farbige Stoffe zu tragen. Er selbst ließ es sich denn auch nicht nehmen, sein farbenfreudiges Auge wenigstens an bunten Westen von Seide, Sammet oder anderen Stoffen zu ergötzen, und besaß davon eine große Sammlung. Hatte einer seiner jüngeren Freunde sich irgendwie ausgezeichnet oder sonst sein Wohlgefallen erregt, so ging er wohl würdevoll an die Kommode, wo diese Sammlung aufbewahrt wurde, kramte ein wenig darin und schenkte ihm feierlichst eine Weste. Das war eine Art von Ordensauszeichnung.«
So weit H. Seidel. Auch W. Lübke hat in seinen »Erinnerungen« über ihn geschrieben; Wilbrandt hat ihn in seiner reizenden Geschichte »Fridolins heimliche Ehe« frei nach dem Leben gezeichnet.
Das bis hierher Erzählte beschäftigt sich ausschließlich mit dem Menschen Eggers; er war klug, gütig, liebenswürdig, schöner Mann – wie oft bin ich daraufhin interpelliert worden – und humoristisch angeflogener Sonderling, alles in allem eine durchaus interessante Figur. Was er im übrigen literarisch leistete, verschwand daneben. Und das mußte so sein. Wer sich ein bißchen auf Menschenkunde versteht, weiß, daß so geartete Charaktere wie zum Dilettantismus prädestiniert sind; sie haben so vielerlei zu tun, sind so ganz auf Zerstreuung ihrer Gaben gestellt, daß für das einzelne nicht jenes Maß von Kraft und Muße verbleibt, ohne das etwas Fix und Fertiges nicht entstehen kann. Nichts, was er schuf, war ausgereift, alles hatte den improvisatorischen Charakter. Eine Zeitlang waren wir Konkurrenten; ich erging mich in nordischen und schottisch-englischen Balladen, und weil diese gefielen, erschien er auch mit »Haralda«, mit »König Radgar« und ähnlichem. Ich mußte mich darüber ausschweigen, ärgerte mich aber, daß er mit solchen Reimereien überhaupt in die Schranken ritt und mitturnieren wollte. So leicht geht das nicht, und wer, wie Eggers das meistens tat, in zwölfter Stunde sich hinsetzt, um »für morgen« noch einen aus dem Vorratskästchen genommenen Balladenstoff in herkömmlicher Nibelungenstrophe zusammenzuleimen, der wird als Regel nicht weit damit kommen. Aber freilich – und das ist der Grund, warum ich mich hier überhaupt so freiweg ausgesprochen habe –, wenn es ausnahmsweise glückt, was unter tausend Fällen freilich nur einmal vorkommt, so wird der Betreffende mit seiner Improvisation den Vogel abschießen. Denn in solchen Ausnahmefällen erhebt sich das Bummlige zum Natürlichen und stattet nun das bloß Hingeworfene mit einem naiven oder auch mit jenem Inspirationszauber aus, den das bloß Kunstvolle nie hat. Und zu solchem Ausnahmefalle brachte es Eggers, als er, auf eine kleine Zeitungsnotiz gestützt, in einer Winternacht 1871 sein Gedicht schrieb » Die Fahne vom 61. Regiment «.
Es lautet:
Wo ist die Fahne geblieben
Vom einundsechzigsten Regiment?
Im Kampf umhergetrieben,
Wo er am allerschwülsten brennt.
Kaum war der Streit entglommen,
Sie wehte straff, sie wehte hoch,
Die Wogen gehn und kommen,
Und immer steht sie noch.
Ihr habt sie sehen sinken,
Doch sich erheben bald darauf
Und immer wieder winken –
Zuletzt da stand sie nicht mehr auf.
»Wo ist sie hingekommen,
Barg sie der Feind in seinem Zelt?«
Er hat sie nicht genommen ,
Er fand sie auf dem Feld.
Sie war zerfetzt, zerschossen,
Die Stange gebrochen und angebrannt,
So gaben sie die Genossen
Von sterbender Hand zu sterbender Hand.
Es deckt sie im Todesmute
Mit seinem Leibe Held auf Held –
So lag in deutschem Blute
Sie auf dem Franken feld.
Das ist ein schönes Gedicht, immer wieder ergreifend; je älter ich werde, je schöner finde ich es.
Wahrscheinlich war es, in gebundener Rede, mit unter dem Letzten, was Eggers schrieb. Das Jahr darauf, im Herbst 1872, starb er.
Richard Lucae
Richard Lucae – Tunnelname: Schlüter – gehörte
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