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Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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weniger im Ton, und daß er mir diesen mitunter sehr mißglückten Ton verzieh, war immer ein Beweis seiner vornehmen Gesinnung und seiner großen Liebe zu mir. Die fatalste Szene derart ist mir noch deutlich in Erinnerung. Es war im Sommer 59, kurze Zeit nach Niederwerfung des indischen Aufstandes, als die Schilderungen von der Erstürmung von Delhi und Khaunpur und vor allem die Berichte von dem »Mädchen von Lucknow« durch alle Zeitungen gingen. Das Mädchen von Lucknow . Ja, das war ein Stoff! Ich war davon benommen wie von keinem zweiten und wälzte die grandios poetische Geschichte seit Monaten in mir herum, hatte das Gedicht auch schon halb fertig und kam, während ich mich damit noch abmühte, keines Überfalls gewärtig, in den Tunnel, wo sich Lepel eben an das kleine Vorlesetischen setzte, um ein Gedicht unter dem Titel »Jessie Brown« zum besten zu geben. Jessie Brown! Ja, warum nicht? Warum nicht Jessie Brown? Vielleicht eine heitere Spinnstubengeschichte; vielleicht auch so was wie Robin Hood und seine Jenny im Sherwoodwald. Mit einemmal aber – mir standen die Haare zu Berge – wurde mir klar, daß diese von Lepel ganz absichtlich als fidele Figur behandelte Jessie Brown niemand anders sein sollte als meine großartige Gestalt: »Das Mädchen von Lucknow«. Mir schwindelte, besonders bei Anhören der letzten Strophe, wo Jessie Brown, als die Gefahr vorüber ist, einen Unteroffizier aus dem Hochländerregiment Campbell beim Arme packt, um mit diesem einen Schottischen zu tanzen. Ich konnte mich nicht mehr halten, und während die Tunnel-Philister in pflichtschuldiges Entzücken ausbrachen, ging ich wie ein Rasender gegen Lepel los und hieb um mich. Das ginge nicht, unterbrach ich das Bewunderungsgefasel, das sei gar nichts; wenn man im Sonnenbrand eine Palme fächeln lasse, so sei das noch nicht Indien, und wenn man den Dudelsack spielen lasse, so sei das noch nicht das Regiment Campbell, und wenn irgendeine Jessie Brown à tout prix ein fideler Knopp sein wolle, so sei das noch nicht das Mädchen von Lucknow. Das Mädchen von Lucknow sei eine Balladenfigur ersten Ranges, fast größer als die Lenore, hellseherisch, mystisch phantastisch, gruselig und erhaben zugleich, alle Himmel täten sich auf, und da käme nun unser »Schenkendorf« (so hieß Lepel im Tunnel), um solche großartige Person am Abschlusse furchtbar durchlebter Belagerungswochen mit einem Unteroffizier einen Schottischen tanzen zu lassen. Es fehle nur noch der steife Grog. Alles war baff nach dieser Philippika. Lepel selbst rappelte sich zuerst wieder raus und sagte: »Das ist dein gutes Recht, daß es dir nicht gefällt; aber du könntest es vielleicht in andere Worte kleiden.« Ich nickte zustimmend dazu, hielt jedoch stramm aus und sagte: »Was meine Worte gefehlt haben mögen, nehme ich gerne zurück; aber den Inhalt meiner Worte halte ich aufrecht. Ich finde, daß du dem großen Stoff ein großes Unrecht angetan hast.«
    Die ganze Szene wirkte länger nach, als das sonst wohl der Fall war. Aber es kam doch wieder zum Frieden. Er sah wohl ein, daß ich, bei meinem derzeitigen Engagiertsein, nicht anders hatte sprechen können.
    Das war Herbst 1859. Anfang der siebziger Jahre verheiratete sich Lepel zum zweiten Male. Seine erste Frau war eine ganz ausgezeichnete Dame von feinem musikalischen Sinn, dabei von Charakter und Lebensernst gewesen. Aber leider hatte sie von diesem Ernst, ich will nicht sagen mehr als gut ist, aber doch mehr als speziell meinem alten Freunde lieb und genehm war, ja seiner ganzen Natur nach lieb und genehm sein konnte. Lepel hatte, so martialisch er aussah – so martialisch, daß der Kronprinz, der spätere Kaiser Friedrich, ihm einmal zurief: »Alle Wetter, Lepel, Sie werden dem Großen Kurfürsten immer ähnlicher« – Lepel, sag’ ich, hatte trotz dieses beinahe bärbeißigen Aussehens einen ganz ausgesprochenen Sinn für die heitere Seite des Lebens, und so hab’ ich denn kaum einen Menschen kennengelernt, der das ganze Gebiet der Kunst und allem vorauf die Reize von Esprit, Witz und Komik so durchzukosten verstanden hätte wie gerade er. Dergleichen gemeinschaftlich zu genießen, blieb ihm bei seiner ersten Frau versagt, und er suchte nach dem ihm versagt Gebliebenen in seiner zweiten Ehe. Jeder weiß aus Beobachtung und mancher aus Erfahrung, wie selten das glückt. Lepel aber hatte den großen Treffer, es zu treffen und in seiner zweiten Ehe wirklich das zu finden, wonach er sich in seinem

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