Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
eines Tages einen Zeitungsausschnitt aus einem New Yorker Blatte schickte. Da fand ich denn das Folgende. Die große Pelzwarenfirma MacKenzie pflege, behufs Einkauf von Pelzen, Geschäftsreisende bis auf die Alëuten zu senden. Unter diesen Geschäftsreisenden habe sich neuerdings ein Mr. Fontane befunden, der auf der großen alëutischen Mittelinsel einem Moskauer Pelzhändler begegnet sei, mit dem er sich gleich angefreundet, auch schließlich nach seinem Namen gefragt habe. Da habe sich denn herausgestellt, daß sie beide »Fontane« hießen und beide derselben Gegend in Languedoc, vielleicht sogar derselben Familie entstammten. Aber während 1686 der eine Zweig nach Deutschland gegangen sei, sei der andre nach Rußland gezogen, und Abkömmlinge dieser beiden Zweige hätten sich nun von Westen und Osten her auf der Mittelinsel der Alëuten getroffen und ihre Zusammengehörigkeit durch einen Bruderkuß besiegelt. So der Zeitungsbericht. Faucher hatte daneben geschrieben: »Dieser New Yorker Fontane muß natürlich Ihr Onkel sein, von dem Sie mir mal erzählt haben.« Und ich wette nun meinerseits, daß es wirklich so war. Dergleichen war meinem Onkel stets vorbehalten. Kurze Zeit darauf hieß es: er – Onkel August – sei auf dem Mississippi ertrunken, ein Dampfkessel sei geplatzt. Es bestätigte sich aber nicht. Er starb vielmehr geraume Zeit später ruhig in seiner Behausung, und seine Frau, die von den unbedingten Vorzügen der »freien Erde« zurückgekommen war, wandte sich wieder Deutschland zu. Da lebte sie noch eine ganze Reihe von Jahren, erst im Badischen, dann wieder in Berlin. Und während dieser ihrer Berliner Zeit sah ich sie noch oft. Ihre Figur war klein geworden, dagegen schienen sich ihre Augen wie vergrößert zu haben; etwas Herbes, Herrisches war über sie gekommen, und wenn sie mit ihrem spanischen Rohr mit großer Elfenbeinkrücke durch das Zimmer schritt, wirkte sie wie ein weiblicher Alter Fritz. In hohem Alter starb sie. Sie ruht draußen auf dem Jakobi-Kirchhof.
Ich nehme nun hier von diesem für mein Leben so bedeutsam gewesenen Menschenpaare Abschied. Aber doch nicht, ohne noch vorher ein Wort über dasselbe gesagt zu haben. Jeder von ihnen war wie für eine psychologische Studie geschaffen, die Tante beinahe mehr noch als der Onkel. Dennoch, um diese Dinge nicht zu weit auszuspinnen, nur über diesen letzteren noch eine Bemerkung.
Es könnte nach manchem scheinen, als wäre er auf dem Felde der Liebenswürdigkeit ein bloßer Komödiant gewesen. Das war er aber nicht. Er war wirklich eine liebenswürdige Natur. Abgesehn von seinen Talenten, seinem Witz und Geschmack, seiner ewig guten Laune, war er auch, bestimmten seelischen Eigenschaften nach, wie geschaffen, die Menschen, die mit ihm verkehrten, ganz besonders auch seine Familie, zu beglücken. Er war immer bon camarade, nie Spielverderber, gütig, hülfebereit und auch von durchaus richtigem Judizium, solang es sich um das Tun andrer handelte. Man hätte ihm eine Entscheidung in Streitfällen ruhig anvertrauen können; sein Rechtssinn, soweit er im Intellekt wurzelte, war in bester Ordnung. Er war nicht begehrlich, nicht neidisch, nicht kleinlich, er war auch nicht einmal ein ausgesprochner Egoist und bekannte sich gern zum leben lassen . Wenn man ihn an einer Stelle hätte placieren können, in der es gar keine Schwierigkeiten und auch keine rechten Pflichten gegeben, in der ihm vielmehr nur obgelegen hätte, munter zu plaudern, Feste zu feiern, ein Lied zu singen oder am Klavier zu begleiten, wenn es, sag’ ich, möglich gewesen wäre, ihn als einen durch glücklichste Placierung vor jeder Lebenssorge Geschützten – und es gibt solche Stellungen – unterzubringen, so würde vielleicht das denkbar Rühmlichste von ihm zu sagen sein; er mußte ein Leben führen, das ihm keine Versuchungen nahelegte, das ihn nie in die Lage brachte, auf kleine Wünsche, denn sie waren immer »klein«, zu verzichten oder gar den Kampf der Pflicht zu kämpfen. Auf diesen Kampf war er schlechterdings nicht eingerichtet, und der unausbleibliche moralische Bankrutt, der darin vorgezeichnet lag, ist ihm, wenn ich ihn richtig beurteile, nie so recht zum Bewußtsein gekommen. Wenn er kein Geld hatte, so nahm er’s, wo er’s fand, und tat rücksichtslos alles, um die durch ihn herbeigeführte, meist sehr dunkle Situation in einer Katastrophe untergehn zu lassen. Es mußte nur nicht rauskommen. Alles andre war gleichgültig. Es sind das die
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