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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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eingelullt durch das unaufhörliche Strömen des Wassers über die Fensterläden unseres Zimmers.
    Später wachte ich zum zweiten Mal auf und wurde mir plötzlich meines Fehlers bewusst. Betroffen von Marcella Naevias Geschichte, hatte ich versäumt, eine ausschlaggebende Frage zu stellen. Ich hätte sie drängen müssen, mir den Namen des Mannes zu nennen, der die Frauen belästigte. Ich brauchte von ihr eine formelle Identifizierung – wahrscheinlich Phineus. Er mochte Caesia zwar nicht getötet haben, doch die Tante gab ihm die Schuld, und der Vater würde Phineus stets als in die Tat verwickelt betrachten. Phineus war sogar zurück nach Rom geflüchtet, als hätten ihn die Folgen seines schlechten Benehmens nervös werden lassen. Das machte ihn nun zu meinem Hauptverdächtigen an der drei Jahre später erfolgten Ermordung von Valeria Ventidia. Doch um ihn zu beschuldigen, brauchte ich den Beweis, dass er eine Bedrohung und eine Gefahr für die Frauen seiner Reisegruppen war. Ich brauchte eine Aussage von Marcella Naevia, in der sie ihn benannte.
    Ich würde auf den Lykabettos zurückkehren und noch mal mit dem verrückten Weib sprechen müssen. Nun noch niedergeschlagener, sank ich einem trübseligen Schlummer entgegen.
     
    Helena packte mich am Arm. Sie hatte etwas gehört, das mir durch das Prasseln des Regens entgangen war. Stöhnend zwang ich mich, erneut wach zu werden. Wir lauschten. Wir nahmen Stimmen im Innenhof wahr, ein Stockwerk unter uns. Männer brüllten. Und sie brüllten dabei meinen Namen.
    Ich bin nachts schon für vieles hinausgerufen worden – immer schlechtes. Augenblicklich ergriff mich die alte Panik. Wäre ich in Rom gewesen, hätte ich sofort gedacht, dass der Aufruhr von den Vigiles verursacht wurde – meinem Kumpel Petronius Longus, dem Ermittlungschef der Vierten Kohorte, der mich mal wieder zu einem grausigen Tatort voller Blut und Verstümmelung herbeizitierte, an dem ich interessiert sein könnte, wie er meinte. Wer hier die Straßen sicherte, mochten die Götter wissen. Und warum wollte man mich dabeihaben, falls es Ärger gab?
    »Didius Falco – wo sind Sie?«
    Ich schnappte mir eine Decke und stolperte auf den Balkon hinaus, der sich rings um den Innenhof des Gasthauses zog. Die Nacht war stockfinster, und der Regen rauschte noch stärker herab. Nur im Notfall würde sich jemand hinauswagen – oder es waren Idioten. Ärgerliche Rufe aus anderen Zimmern verrieten uns, dass die meisten Gäste die Schreihälse für Idioten hielten. Ich stimmte dem bald zu.
    Schwaches Fackellicht kämpfte gegen den Regen an und zeigte uns unsere Besucher. Sie waren zu betrunken, sich um das Wetter zu scheren. Haar lag angeklatscht an ihren Stirnen, Tuniken klebten an ihren Rücken und Beinen, Regenwasser rann in Strömen an ihnen herab. Ein oder zwei hatten noch Blumenkränze auf dem Kopf, aus denen Wasser in ihre geröteten Augen tropfte. Einige lehnten aneinander, um das Gleichgewicht zu halten, andere torkelten allein herum. Ich entdeckte den jungen Glaucus, erkennbar an seiner Größe, seiner Nüchternheit und der Tatsache, dass er als Einziger versuchte der Prozession Vernunft beizubringen. Helena kam hinter mir heraus. Sie hatte sich eine lange Tunika übergezogen und hielt eine weitere über den Kopf.
    »Was ist passiert? Geht es um Aulus?« Alarmiert dachte sie, dass ihr Bruder in einer verzweifelten Situation stecken müsse.
    »Oh, es geht durchaus um Aulus!«
    Aulus schaute zu mir hoch, einen Hauch von Entschuldigung im Blick. Dann senkte er den Kopf und sackte hilflos gegen den jungen Glaucus. Glaucus hielt ihn mit einem Arm fest und tippte sich mit der freien Hand an die Stirn.
    »Sie sind Falco!«, rief ein Mann triumphierend, sein Latein mit einem so starken Akzent, dass es fast Griechisch war.
    Ohne Rücksicht auf das Wetter und die späte Stunde, ohne Rücksicht auf gutes Benehmen und guten Geschmack, grölte er mit lauter Stimme zu uns herauf. Eine gute Stimme. Bariton. Daran gewöhnt, Reden zu halten. Daran gewöhnt, akademische Kritiker und Gegner in turbulenten Prozessen niederzubrüllen. Ihn zu beschimpfen war zwecklos. Er würde die Herausforderung genießen.
    »Seien Sie gegrüßt, Falco! Ich bin Minas von Karystos! Das sind meine Freunde …« Mit ausholender Geste deutete er auf an die zwanzig Männer, alle im fortgeschrittenen Stadium fröhlichster Laune. Ich sah, wie einer ausführlich gegen eine Säule pisste; das Geräusch seines gewaltigen Strahls ging im

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