Delphi sehen und sterben
gehalten hatte – unter ihrem exzentrischen Hut auf und dankte mir. Wieder setzte mein Herz aus. Das war kein altes Weib. Sie war nur mittleren Alters und etwas wunderlich. Philomela.
»So begegnen wir uns wieder!«
»Sie scheinen Klischees zu lieben, Falco.«
Ich trank mein Wasser, genoss es nachdenklich. Nux leckte an der Tülle des großen Wasserkrugs, und so goss ich ihr mehr hin. Die Hündin beschloss, es, wenn es erlaubt war, nicht zu wollen.
»Nux, du dummes Mädchen! Aus irgendeinem Grund muss ich dabei an meine Kinder denken. Auch die können der reinste Terror sein … Zeit, nach Hause zu fahren, glaube ich.«
»Dann gibt es etwas, das ich sagen sollte«, verkündete Philomela. »Ich möchte Ihnen eine Botschaft an jemanden mitgeben, Falco. Ich möchte jemandem in Rom etwas erklären.«
»Wem? Was? Etwas, das wo passiert ist?«
»In Olympia.«
Gaius und Cornelius hatten gesagt, ihre Wasserverkäuferin habe ihnen erzählt, sie hätte auf dem Kronoshügel gearbeitet. Was auch immer Philomela mir mitzuteilen hatte, würde wichtig sein, das wusste ich.
Ich hockte mich auf die Fersen und betrachtete sie. Philomela schwieg, als wollte sie äußerste Spannung erzeugen. Damit erreichte sie nur Verärgerung. Ich versuchte sie anzutreiben. »Ich hoffe, es geht darum, was entweder Valeria Ventidia oder Marcella Caesia zugestoßen ist. Ich nehme an, Ihr Gewerbe macht es eher wahrscheinlich, dass Sie Caesia gesehen haben?«
»Mein Gewerbe!« Sie lachte kurz auf. »Ich lebe bescheiden, wie Sie sehen …« Sie deutete hinter sich zu der Hütte, die winzig und zweifellos innen äußerst primitiv war. Ich wollte es lieber nicht so genau wissen. Ich hasse Hütten auf dem Land, sie riechen nach Rauch und Hühnerkacke. »Ich verkaufe Wasser für einen Hungerlohn, nur gerade genug zum Überleben.«
»Keine Familie, die Sie unterstützt?«
»Angeheiratete Verwandte. Sie wissen nicht, dass ich nach Griechenland zurückgekehrt bin. Sie glauben, ich sei in einer anderen Provinz auf Reisen. Das passt mir gut. Ich wollte mich verlieren.«
Ich konnte ihrem romantischen Gehabe nichts abgewinnen. »Menschen, die sich ›verlieren‹ wollen, sind entweder Versager oder Betrüger mit schuldbeladenen Geheimnissen.«
»Sie sind ein trauriger Mann.«
»Ich bin Privatermittler. Einst war ich bloß ein Quälgeist, aber Ermittlungsarbeit macht einen brutal. Sagen Sie mir die Wahrheit, Philomela. Waren Sie in Olympia, als Marcella Caesia auf den Kronoshügel stieg und verschwand?«
»Ja.«
»Waren Sie tatsächlich an jenem Tag auf dem Kronoshügel?«
»Ja, ich war dort.«
»Sie haben sie hinaufgehen sehen? War jemand bei ihr?«
»Zwei Menschen sind zusammen auf den Hügel gestiegen.«
»Einer war ein Mann?«
»Nein. Der eine war Marcella Caesia, der andere war eine Frau, Falco.«
Das ließ mich innehalten.
»Wissen Sie, was mit Caesia passiert ist?«
»Ja.«
In diesem dramatischen Moment wurden wir unterbrochen. Eine vertraute Stimme rief nach mir. Helena musste das Pferd angeleint haben und mir doch noch auf den Berg gefolgt sein. Nux rannte los, um sie zu begrüßen. »Sie haben also tatsächlich eine Frau!«, bemerkte die sogenannte Philomela.
»Das habe ich doch gesagt.« Ich stellte sie einander vor. »Helena Justina, Tochter des edlen Decimus Camillus Verus und meine mir zugeneigte Gattin. Helena, das ist die Dame aus Tusculum, die sich jetzt Philomela nennt.«
Helena betrachtete das Wunderwesen. Ich hatte ihr früher schon gesagt, dass Philomela meiner Meinung nach nicht alle Tassen im Schrank habe. »Ich glaube, ich weiß, wer Sie sind«, versicherte ihr Helena fröhlich.
Philomela nahm ihren komischen Hut ab, wie um ihre wahre Persönlichkeit zu enthüllen. Helena strich sich ihr feines schwarzes Haar hinter die Ohren, zog eine Knochennadel heraus und steckte sie mit einer unbewussten Geste wieder fest. Sie waren wie zwei Freundinnen, die sich an einem reinen Frauennachmittag zum Minztee niedergelassen hatten.
»Sagen Sie mir: Sind Sie Marcella Naevia?«
»Ihre Frau ist außergewöhnlich, Falco!«, blubberte Marcella Caesias Tante.
Caesius Secundus hatte uns versichert, dass diese Frau in Ägypten reiste. Die ganze Zeit hatte sie sich unter einem angenommenen Namen in Griechenland herumgetrieben.
Ich nahm nicht an, dass der Tod ihrer Nichte in Olympia sie in eine mondsüchtige Nymphe verwandelt hatte. Marcella Naevia musste schon immer den Hang gehabt haben, angesichts des wahren Lebens
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