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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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Tisch entrollt, musterte den Mann und legte das saubere, spitze Ende ihres Löffels neben den Namen Tiberius Sertorius Niger, den Vater der vierköpfigen Familie. Und tatsächlich schloss sich ihm die Ehefrau an, eine bleiche Frau, die Herodot las. (Sie las Teile davon laut, hauptsächlich für sich selbst; niemand sonst nahm davon Notiz. Helena, die auf dem Weg von Italien die Historien überflogen hatte, erkannte den Abschnitt.) Kurz darauf kamen ihre beiden Kinder, stopften sich etwas in den Mund, verschütteten einen Krug Wasser, standen dann vom Tisch auf und sahen sich nach Möglichkeiten um, Unfug zu treiben. Der Junge war etwa vierzehn, das Mädchen etwas jünger. Sie waren missmutig und gelangweilt.
    Als Nächste kam eine Frau mittleren Alters, allein, recht korpulent, mit krausem Haar und damit beschäftigt, an ihrer übergroßen, schiefsitzenden Kleidung herumzufummeln. Sie nickte der Mutter zu, die schon früher die Witwe (für die wir sie hielten) davon abgebracht haben musste, sich zu der Sertorius-Familie zu setzen. Stattdessen ließ sich Helvia an den Tisch neben uns plumpsen. Helena hätte ein Gespräch anfangen können, aber wir mussten noch ein wenig länger unbeteiligte Beobachter bleiben. Helena vertiefte sich in den Brief von Aulus, während ich abweisend um mich blickte. Obwohl Aulus die Witwe Helvia als »ziemlich blöd« bezeichnet hatte, musste sie gefolgert haben, dass ich ein gefährlicher Hund war, der Schaum vor dem Maul bekam, wenn man ihn ansprach. Sie vermied es, uns anzuschauen.
    Plötzlich widmete sie sich ausführlich der mit Kreide beschriebenen Schiefertafel, die als Speisekarte diente (entziffert, besagten die spinnenartigen griechischen Buchstaben nichts anders, als dass es Oktopus mit Soße und Oktopus ohne Soße gab). Helvias Fixierung war Fassade, um der Aufmerksamkeit eines schäbigen, schlaksigen Mannes mit einem großen kegelförmigen Hut zu entgehen, der hereinkam und sich nach jemandem umschaute, dem er auf die Nerven fallen konnte. Das musste Volcasius sein.
    Helena knuffte mich in die Rippen; ich konterte mit einem lüsternen Drücken, um es aussehen zu lassen, als wären wir Liebende bei einem heimlichen Stelldichein. Es nützte nichts.
    »Sitzt hier schon jemand?«
    »Wir warten auf Freunde!«, wies ihn Helena eisig ab. Volcasius starrte sie an, als bräuchte er einen Dolmetscher, doch als er kurz davor war, sich trotzdem zu uns zu setzen, verscheuchte meine Liebste ihn wie eine aufdringliche Wespe. Niemand, der Helena zum ersten Mal begegnete, konnte ihrem ätzenden Blick standhalten. Volcasius schlappte davon und wechselte bald darauf von einem leeren Tisch zum anderen. Der Kellner musste dieses unstete Verhalten schon vorher erlebt haben und ignorierte ihn.
    Zwei Männer kamen zusammen herein. Helena entschied, dass es sich um Indus und Marinus handeln musste, die sich als Alleinstehende reifen Alters zusammengetan hatten. Sie gaben ein seltsames Paar ab, der eine klein, der andere groß, beide in den Fünfzigern, beide fröhlich und gesellig. Wir konnten nicht erkennen, welcher der Witwer war und welchen der Männer Aulus aus irgendeinem Grund als »entehrt« bezeichnet hatte. Sie blickten sich nach dem angenehmsten Platz um, ohne es zu deutlich erkennen zu lassen. Dann setzten sie sich höflich zu Helvia. Volcasius machte Anstalten, sich ebenfalls dazuzuquetschen, aber der größere der beiden Männer hatte die leere Bank geschickt zur Seite gedreht und dann sein Bein darauf ausgestreckt, als hätte er ein schmerzendes Knie. Nachdem er auf die Tafel geblickt hatte, witzelte er: »Dasselbe wie gestern! Stiefelriemen mit Soße oder Stiefelriemen ohne …«
    In dem Moment trafen zwei Paare gemeinsam ein, mit viel Lärm, alle in weißen Gewändern und mit Schmuck behängt. Die vier mochten zwar noch nichts getrunken haben, schienen aber zum Mittagessen damit zu rechnen. Das lauteste Paar mussten Cleonyma und Cleonymus sein, nahmen wir an. Er hatte einen makellosen kurzen Haarschnitt, ihre Mähne war kunstvoll zu Türmchen aufgesteckt und schwankte, als sie auf gewagt hohen Holzabsätzen hereinwackelte. Minucia und Amaranthus, die »Spaßigen«, wie Aulus sie genannt hatte, beschwerten sich bitterlich. Ihm war das Geld ausgegangen, und er war von einem ägyptischen Geldwechsler am örtlichen Hafen von Kenchreai heftig übers Ohr gehauen worden (das schien vor mehreren Tagen passiert zu sein, wurmte ihn aber anscheinend noch mächtig). Sie hatte gerade eine

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