Delphi sehen und sterben
über den Mund und sagte freundlich zu der Frau: »Es tut mir so leid. Ihr Name ist der einzige, den wir
nicht
genau vorliegen haben.«
»Sertoria Silene.« Ihr griechisches Cognomen, zusammen mit dem gemeinsamen Familiennamen, erklärte einiges. Der ungehobelte Mistkerl mit dem hochnäsigen Benehmen hatte seine Ex-Sklavin geheiratet und ließ es sie nie vergessen. Jetzt hatten sie zwei Kinder, die er nicht beherrschen konnte, während sie zu schüchtern dazu war. Die Kinder hatten wenig Respekt vor ihrer Mutter und orientierten sich an ihrem Vater.
»Lassen Sie Ihre Frau ruhig etwas beitragen«, murmelte ich Sertorius mit falscher Vertraulichkeit zu. »Ich finde, dass Frauen das beste Gedächtnis haben.«
»Tja, wenn Sie nur an Klatsch interessiert sind …« Auf sein beleidigendes Schnauben reagierte ich nur mit einem Lächeln, bemüht, das Kriegsbeil zu begraben. Helena würde mir dafür später den Hades heißmachen, aber meine Aufgabe bestand darin, diese Leute bei Laune zu halten. »Wie sie sagt …« Er meinte seine Frau, ohne ihren Namen zu nennen, da er sich wohl für ihr Herkommen schämte. »Wir trafen uns als Gruppe an Bord des Schiffes, der Calliope – ein grauenvoller Kahn. Die Bilgen waren so voller Wasser, dass sich das Ding kaum steuern ließ.
Nicht,
was uns versprochen worden war. Das wird der erste Punkt in meinem Beschwerdebrief sein. Bevor ich zu diesem Dreckloch hier komme, natürlich. Uns hier einzuquartieren ist eine Frechheit. Der Besitzer führt nebenbei ein Bordell.«
»Sagen Sie das Aquillius. Ihm obliegt es, Sie unterzubringen. Bleiben Sie bitte bei den Fakten. Das erste Zusammentreffen mit den Verheirateten?«
Ich wusste, dass meine Zurechtweisung Sertorius ärgern würde, denn er hielt sich für hoch effizient. Mit wütendem Blick aus zusammengekniffenen Augen erwiderte er gepresst: »Die frisch Verheirateten waren anfänglich kaum zu sehen. Später lugten sie ein wenig aus ihrer Schale heraus.«
»Sie waren höchstens seit einer Woche zusammen, als wir losfuhren«, warf Sertoria Silene ein.
»Waren sie glücklich?«, fragte Helena.
»Sie meinen, ob sie eine Menge Spaß im Bett hatten?«, quatschte Sertorius derb dazwischen. Er schien Helena Prüderie vorwerfen zu wollen.
»Eigentlich meinte ich beides.« Sie blickte ihn direkt an, das Kinn herausfordernd hochgereckt.
»Zweifellos traf beides zu«, sagte Sertorius und überging Helenas Einwurf hochnäsig, doch seine Stimme kratzte – ein Zeichen von Unsicherheit.
»Verschlechterte sich ihre Beziehung?« Helena drehte sich von dem Ehemann weg, als wäre er nicht vorhanden, und wandte sich an Sertoria Silene.
»Sie haben sich manchmal gestritten. Aber ich dachte, wenn sie durchhielten, würden sie irgendwann zur Ruhe kommen. Sie waren jung. Er hatte zuvor nie über eigenes Geld verfügt, also warf er es zum Fenster hinaus – und sie war gescheiter als er.«
Das war eine scharfsinnige Beurteilung. Ich hatte Sertoria unterschätzt. Während ihr dämlicher Gatte zu dominieren schien, fragte ich mich, ob sie ihn geheiratet hatte, weil sie wusste, dass sie ihn am Gängelband führen konnte. Das war ein hoher Preis für die Bürgerrechte, aber einer, der es wert gewesen sein mochte. Sie konnte lesen – verschlang ihren Herodot, eindeutig zum Privatvergnügen. Eine bloße Küchenmagd konnte sie nicht gewesen sein, musste vielmehr eine gute Stellung im Haushalt innegehabt haben. Helena erzählte mir später, sie könne sich die Frau als gebildete Sekretärin und Gefährtin einer vorherigen, vermutlich wohlhabenden Ehefrau vorstellen. Die Ehefrau war gestorben, Sertorius mochte nicht allein leben und hatte sich das nächstbeste weibliche Wesen geangelt, das bereit war, ihn zu nehmen. Das ergab einen Sinn. Eine illegitime Liaison, während die erste Frau noch lebte, mochten wir uns nicht vorstellen; nun ja, alles ist möglich.
»Und was wissen Sie von dem Tag, an dem Valeria starb?«
»Ach, eigentlich nichts.« Also hatte man Sertoria Silene angewiesen, Ausflüchte zu machen. Ich gab ihrem aufgeblasenen Ehemann die Schuld dafür.
Ich übernahm die Befragung und wandte mich an ihn. »Die Männer haben sich an dem Tag Wettkampfsportarten angesehen. War Statianus dabei?« Er nickte. »Während die Frauen die Pelops-Relikte besichtigten?« Beide wirkten überrascht, dass ich so viel wusste. Leute wie diese waren bestimmt noch nie einem Privatermittler begegnet. »Valeria auch?« Diesmal nickte Sertoria. Dann blickte sie in
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