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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Tom nichts anderes gedacht haben, als er sei nun einmal ein sonderbarer Stuhl. Damit wäre die Sache abgemacht gewesen; aber dieser eigentümliche Stuhl hatte etwas Besonderes an sich, und Tom konnte doch nicht sagen, was; so seltsam und so verschieden von jedem andern hatte er noch kein Gerät gesehen; er schien ihn ganz zu fesseln. Tom setzte sich vor das Feuer und starrte eine halbe Stunde lang den alten Stuhl an. – Hole der Teufel den Stuhl, er war ein so seltsames altes Stück, daß er seine Augen nicht davon abzuwenden vermochte.
    ›Nein‹, sagte Tom, sich langsam auskleidend und während dieser ganzen Zeit den alten Stuhl anstarrend, der mit seiner geheimnisvollen Gestalt vor dem Bett stand, ›mein Lebtag sah ich noch nie ein so seltsames Möbel, wie das da. Sehr seltsam‹, sagte Tom, den der warme Punsch etwas nachdenklich gemacht hatte, ›sehr seltsam.‹ Tom schüttelte den Kopf mit der Miene hoher Weisheit und sah wieder auf den Stuhl. Er wußte nicht, was er daraus machen sollte, ging jedoch zu Bett, deckte sich warm zu und schlief ein.
    Nach einer halben Stunde fuhr er aus dem Schlaf auf. Er hatte einen verwirrten Traum von großen Männern und Punschgläsern gehabt, und der erste Gegenstand, der sich seiner wachenden Einbildungskraft darbot, war der seltsame Stuhl.
    ›Ich will nicht mehr Hinsehen‹, sagte Tom zu sich selbst, drückte seine Augenlider zu und suchte sich zu überreden, er schlafe schon wieder ein. Umsonst. Nichts als seltsame Stühle tanzten vor seinen Augen, hoben die Beine empor, schwangen sich einander über den Rücken und machten allerlei tolle Sprünge.
    ›Ich will lieber einen wirklichen Stuhl sehen, als ein paar Dutzend eingebildete‹, sagte Tom, seinen Kopf unter der Bettdecke hervorstreckend. Er erkannte den Stuhl deutlich beim Schein des Feuers, wie er noch ebenso herausfordernd aussah, wie je.
    Tom betrachtete den Stuhl starr, und wie er ihn so ansah, schien plötzlich eine außerordentliche Veränderung mit ihm vorzugehen. Das Schnitzwerk auf dem Rücken nahm allmählich die Züge und den Ausdruck eines alten gefurchten Menschengesichts an; das damastene Polster wurde eine altmodische Weste mit Schößen; die runden Knäufe verwandelten sich in ein paar Füße, die in roten Tuchpantoffeln steckten, und der ganze Stuhl glich einem häßlichen Alten aus dem vorigen Jahrhundert, mit untergestemmten Armen. Tom richtete sich im Bett auf und rieb seine Augen, um klar zu sehen. Vergebens. Der Stuhl war ein häßlicher alter Herr; und was noch mehr war, er winkte Tom zu.
    Tom war von Natur ein herzhafter, mutiger Bursche und hatte zudem fünf Gläser warmen Punsch getrunken. Sein Ärger gewann daher bald die Oberhand über seine anfängliche Bestürzung, als er sah, wie der alte Herr mit so unverschämter Miene auf ihn hinstarrte und ihm zuwinkte, und er entschloß sich endlich, es nicht länger so geduldig hinzunehmen. Als ihm daher das alte Gesicht wieder stärker winkte als je, fragte Tom in sehr ärgerlichem Ton:
    ›Was zum Teufel hast du mir zu winken?‹
    ›Weil es mir so beliebt, Tom Smart‹, sagte der Stuhl, oder der alte Herr, wie Sie ihn nennen mögen. Doch hörte er auf zu winken, als Tom sprach und grinste ihn an, wie ein altersschwacher Affe.
    ›Woher weißt du meinen Namen, altes Nußknackergesicht?‹ fragte Tom Smart, etwas betreten; wenn er sich auch unbefangen stellte.
    ›Komm, komm, Tom‹, sagte der alte Herr, ›das ist nicht die Art, einen soliden spanischen Mahagoni anzureden. Gott straf mich, du könntest mir nicht weniger Achtung erweisen, selbst wenn ich nur furniert wäre.‹
    Als er, der alte Herr, das sagte, warf er einen so zornigen Blick, daß Tom ordentlich erschrak.
    ›Ich wollte Sie durchaus nicht mit Verachtung behandeln, mein Herr‹, sagte Tom in einem demütigern Ton, als er ihn anfangs angenommen hatte.
    ›Schon recht, schon recht‹, erwiderte der Alte, ›es ist möglich, es ist möglich, Tom –‹
    ›Mein Herr –‹
    ›Ich kenne alle deine Verhältnisse, Tom; alle. Du bist sehr arm, Tom.‹
    ›Das ist nur zu gewiß‹, versetzte Tom, ›aber woher wissen Sie das?‹
    ›Forsche jetzt nicht danach‹, sagte der alte Herr! ›du bist auch ein viel zu großer Freund vom Punsch, Tom!‹
    Tom Smart stand eben auf dem Punkt, zu behaupten, er habe seit seinem letzten Geburtstag keinen Tropfen mehr getrunken; aber als sein Auge dem Auge des alten Herrn begegnete, sah dieser so bekannt mit allem aus, daß Tom errötete und

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