Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
wüßtest, wie ich diesen Mann geliebt habe – –«
»Verbannen Sie diese trüben Erinnerungen, Madame«, sagte die Leibgardistin.
Pott schnitt ein jammervoll ängstliches Gesicht. Es war Zeit zu einem Hauptangriff.
»Und jetzt«, schluchzte Madame Pott, – »jetzt muß ich mich so behandeln lassen, muß mir in Gegenwart eines Dritten, der so gut wie ein Fremder ist, Vorwürfe machen und mich ausschelten lassen. Aber, Goodwin, ich dulde es nicht länger«, fuhr Madame Pott fort, indem sie sich in den Armen ihrer Wärterin aufrichtete. »Mein Bruder, der Leutnant, soll auch ein Wort dazu sagen. Ich will mich scheiden lassen, Goodwin.«
»Es würde ihm jedenfalls recht geschehen«, sagte Goodwin.
Was für Gedanken die Bedrohung mit einer Scheidung in Herrn Potts Brust auch erregt haben mag, er unterließ es, ihnen Worte zu geben, und begnügte sich mit der de- und wehmütigen Anfrage:
»Willst du mich anhören, meine Teure?«
Irenes Schluchzen war die einzige Antwort. Die Krämpfe stellten sich immer heftiger ein. Madame Pott verlangte zu wissen, warum sie eigentlich geboren sei und stellte eine Menge Fragen dieser oder ähnlicher Art.
»Meine Teure«, sagte Herr Pott in möglichst überzeugendem Tone, »gib doch solchen peinigenden Empfindungen keinen Raum. Ich habe keinen Augenblick geglaubt, daß der Artikel auch nur die mindeste Begründung haben könnte. Nein, meine Teure, das wäre ja rein unmöglich. Es ärgerte mich nur, meine Liebe – ja ich darf wohl sagen, es machte mich wütend, daß das Unabhängigenpack sich erfrechen konnte, so etwas einrücken zu lassen – das ist ja alles.«
Und Herr Pott warf einen flehenden Blick auf die unschuldige Ursache des ganzen Unheils, als wolle er ihn bitten, ja nichts von der Schlange zu sagen.
»Und was für Maßregeln, mein Herr, gedenken Sie zu ergreifen, um Genugtuung zu erhalten?« fragte Herr Winkle, dessen Mut in eben dem Maße zunahm, als er Pott den seinigen verlieren sah.
»Ach, Goodwin«, ächzte Madame Pott, »will er vielleicht den Redakteur des Unabhängigen durchpeitschen? Will er das, Goodwin?«
»Still, still, Madame: bitte, seien Sie doch ruhig«, versetzte die Leibwache. »Ich glaube, daß er es tun will, wenn Sie es wünschen, Madame.«
»Allerdings«, sagte Pott, da sein Weib geneigt schien, die Krämpfe aufhören zu lassen. – »Es versteht sich von selbst, daß ich das tue.«
»Wann, Goodwin – wann?« sagte Mrs. Pott, noch unentschlossen wegen der Krämpfe.
»Auf der Stelle, das versteht sich«, erwiderte Herr Pott! »noch ehe sich der Tag neigt.
»Ach, Goodwin«, fing Madame Pott aufs neue an, »das ist das einzige Mittel, der Verleumdung zuvorzukommen und mich vor der Welt ins wahre Licht zu stellen.«
»Ganz gewiß, Madame«, erwiderte Goodwin. »Kein Mann, der wirklich ein Mann ist, könnte sich dessen weigern.«
Da die Krämpfe noch immer drohend im Hinterhalt lauerten, so versicherte also Herr Pott aufs neue, daß er es tun wolle. Aber Madame Pott war schon von dem bloßen Gedanken, daß ihre Ehre im mindesten in Zweifel gezogen wurde, dermaßen gekränkt, daß sie noch ein halb dutzendmal im Begriffe war, einen Rückfall zu bekommen. Und ohne Zweifel wäre das auch geschehen, hatte nicht die unverdrossene Goodwin durch unermüdliche Anstrengungen und der arme geschlagene Pott durch wiederholtes flehentliches Bitten um Verzeihung es verhindert. Endlich, als der unglückliche Mann wieder auf den ihm gebührenden Standpunkt heruntergeängstigt und heruntergeächzt war, erholte sich Madame Pott wieder, und die Gesellschaft ging zum Frühstück.
»Das niederträchtige Zeitungsgeträtsche wird Sie doch nicht veranlassen, Ihren Aufenthalt hier abzukürzen, Herr Winkle?« sagte Madame Pott, durch die Spuren ihrer Tränen hindurch lächelnd.
»Ich hoffe nicht«, fiel Herr Pott ein, in diesem Augenblick von dem inneren Wunsche durchdrungen, daß sein Gast an der gerösteten Brotschnitte, die er eben an seine Lippen führte, ersticken und dadurch seinem Aufenthalte auf immer ein Ende gemacht werden möchte! »Ich hoffe nicht.«
»Sie sind gar zu gütig«, sagte Herr Winkle, »aber ich habe heute früh, als ich noch in meinem Schlafzimmer war, einen Brief von Herrn Tupman erhalten, worin er mir meldet, es sei ein Schreiben von Herrn Pickwick eingetroffen, der uns bitte, noch heute zu ihm nach Bury zu kommen. Wir sind deshalb beide entschlossen, heute mittag abzureisen.«
»Sie werden aber doch wieder zurückkommen?« sagte
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