Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Sogar in seiner furchtbaren Angst bemerkte der Totengräber unwillkürlich, daß es im Gegensatze zu seinen Freunden, die sich damit begnügten, über gewöhnliche Grabsteine hinwegzusetzen, Familiengewölbe samt ihren eisernen Gittern und allem dazu Gehörigen mit einer Leichtigkeit übersprang, als wären es Meilensteine gewesen.
Schließlich erreichte das Spiel eine betäubende Höhe. Die Orgel spielte schneller und schneller, und die Gespenster sprangen höher und höher, indem ste sich wie Kugeln zusammenballten und über den Boden hinrollten und gleich Federbällen über die Grabsteine wegschnellten. Dem Totengräber wirbelte der Kopf von der Schnelligkeit der Bewegungen, die er sah, und seine Beine wankten unter ihm, als die Geister vor seinen Augen vorüberflogen und der Gespensterkönig plötzlich auf ihn zusprang, ihn am Kragen nahm und mit ihm hinabfuhr.
Als Gabriel Grub wieder Zeit gewann, Atem zu schöpfen, den ihm die Schnelligkeit seiner Hinabfahrt für den Augenblick versagt hatte, sah er sich in einer Art großer Höhle, auf allen Seiten von einer Menge häßlicher, grimmig aussehender Gespenster umringt. In ihrer Mitte saß auf einem erhöhten Sitz sein Freund vom Kirchhof, und neben ihm stand völlig gelähmt Gabriel Grub.
»Eine kalte Nacht«, sagte der König der Gespenster, »eine sehr kalte Nacht. Holt uns ein Gläschen Warmen.«
Auf diesen Befehl verschwanden eilig ein halbes Dutzend dienstbare Geister, die beständig lächelten, so daß unser Gabriel vermutete, es möchten Höflinge sein. Sie kehrten sogleich mit einem Becher flüssigen Feuers zurück und reichten ihn dem König.
»Ah«, sagte das Gespenst, dessen Wangen und Kehle ganz durchsichtig waren, als er die Flamme in sich sog, »das wärmt; reicht Herrn Grub auch einen Becher.«
Der unglückliche Totengräber wendete vergebens ein, es sei ganz gegen seine Gewohnheit, bei Nacht etwas Warmes zu sich zu nehmen: eins von den Gespenstern hielt ihn fest, während ihm ein anderes die lodernde Flüssigkeit in die Kehle goß und die ganze Gesellschaft ein schallendes Gelächter anschlug, als er hustete und keuchte und die Tränen abwischte, die nach dem brennenden Trank seinen Augen entströmten.
»Und nun«, sagte der König, das spitzige Ende seines zuckerhutförmigen Huts auf gauklerartige Weise dem Totengräber ins Auge bohrend, so daß dieser die fürchterlichsten Schmerzen empfand – »und nun zeigt dem Mann des Unmuts und der Verdrossenheit einige von den Gemälden unserer großen Galerie.«
Während das Gespenst also sprach, verzog sich allmählich eine dichte Wolke, die den Hintergrund der Höhle in Dunkel gehüllt hatte. In großer Entfernung wurde ein kleines, sparsam ausgestattetes, aber niedliches und reinliches Gemach sichtbar. Eine Schar kleiner Kinder war um ein helles Feuer versammelt, die ihre Mutter am Kleide zerrte und um ihren Stuhl hertanzte. Von Zeit zu Zeit erhob sich die Mutter und zog den Fenstervorhang zurück, als ob sie nach einem erwarteten Etwas ausschaue; auf dem Tische stand bereits ein frugales Abendessen, und am Feuer sah man einen Armstuhl. Man hörte Pochen an der Tür, die Mutter öffnete, und die Kinder umringten sie und schlugen vor Freude in die Hände, als ihr Vater eintrat. Er war naß und müde und schüttelte den Schnee von seinen Kleidern, als sich die Kinder um ihn her drängten und ihm mit geschäftigem Eifer Mantel, Hut, Stock und Handschuhe abnahmen. Als er sich dann vor dem Feuer zum Mahl niedersetzte, kletterten die Kinder auf seine Knie und die Mutter setzte sich neben ihn, und alles schien voll Lust und Freude.
Aber fast unmerklich änderte sich die Szene. Das Zimmer verwandelte sich in ein kleines Schlafgemach, wo das schönste und jüngste Kind in den letzten Zügen lag. Die Rosen seiner Wangen waren verblichen und der Glanz seiner Augen erstorben. Sogar der Totengräber betrachtete es mit einer vorher nie gefühlten noch gekannten Teilnahme, als es verschied. Seine jungen Brüder und Schwestern versammelten sich um sein Bettchen und ergriffen die leblose Hand, die so kalt und schwer war, aber sie schraken vor der Berührung zurück und sahen mit schaudernder Ehrfurcht in das Gesicht des Kindes: denn so ruhig und still es war, und so schön und friedlich es dalag und zu schlummern schien, so sahen sie doch, daß es tot war, und wußten, daß es jetzt als Engel aus einem Himmel voll Pracht und Seligkeit auf sie herniedcrblickte.
Wieder zog sich die leichte Wolke über das
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