Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
sehr zu erleichtern versprach. Die Gesten des alten Weller blieben übrigens jenen beiden kaum unbekannt. Herr Stiggins war nämlich bei einem zufälligen Blick auf den ankommenden Glühwein mit seinem Kopf heftig gegen die geballte Faust gestoßen, die Herr Weller einige Minuten lang, nur zwei Zoll von seinem Ohre entfernt, wie ein Feuerrad kreisen ließ.
»Was reckt Ihr Eure Hand auf diese rohe Weise nach dem Becher aus?« rief Sam plötzlich. »Seht Ihr denn nicht, daß Ihr den Herrn da stoßt?«
»Ich wollte das nicht, Sammy«, sagte Herr Weller, durch den Zusammenprall denn doch einigermaßen in Verlegenheit gebracht.
»Versuchen Sie einmal eine innerliche Medizin, Sir«, bemerkte Sam, als der rotnasige Herr sich mit kläglicher Miene am Kopf scheuerte. »Was halten Sie von einer solchen warmen Eitelkeit, Sir?«
Herr Stiggins antwortete nicht mit Worten, aber sein Benehmen war verständlich. Er kostete den Inhalt des Glases, das ihm Sam in die Hand gegeben hatte, und stieß seinen Regenschirm auf den Boden. Dann kostete er wieder, die Magengegend zwei- bis dreimal behaglich mit der Hand streichend; schließlich trank er das Ganze auf einen Zug aus, schmatzte mit den Lippen und hielt den Becher hin, um ihn zum zweitenmal füllen zu lassen.
Auch Frau Weller blieb nicht zurück, wo es galt, der Mischung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die gute Dame protestierte anfangs, sie könne keinen Tropfen trinken, – dann trank sie eine kleinen Tropfen –- dann einen großen Tropfen – und dann eine große Menge Tropfen, und da ihre Gefühle von der Natur derjenigen Substanzen waren, die durch Anwendung gebrannter Wasser stark angegriffen werden, so ließ sie bei jedem Tropfen Glühwein einen Tränentropfen fallen und ihre Gefühle so sehr zerfließen, daß sie endlich eine sehr anständige und imposante Höhe des Elends erreichte.
Der ältere Herr Weller gab bei der Beobachtung dieser Zeichen und Merkmale sein Mißfallen auf mannigfache Weise zu erkennen. Als nun Herr Stiggins, nach einem zweiten Kruge desselben Inhalts, kläglich zu seufzen anfing, so legte er seine Unzufriedenheit mit der ganzen Aufführung durch verschiedenes zorniges Gebrumme und Bemerkungen wie »Alfanzereien« offen an den Tag.
»Ich will dir sagen, was es ist, Samuel, mein Junge«, flüsterte der alte Herr, nach einer langen, aufmerksamen Beobachtung seiner Frau und Herrn Stiggins, seinem Sohn ins Ohr: »ich glaube, es muß deiner Stiefmutter und dem Rotnasigen im Leib nicht recht wohl sein.«
»Wie meint Ihr das?« fragte Sam.
»Ich meine, Sammy«, versetzte der alte Herr, »was sie trinken, scheint ihnen nicht zur Nahrung zu dienen: es verwandelt sich alles plötzlich in warmes Wasser und kommt durch die Augen wieder heraus. Ich versichere dich, Sammy, es ist ein Fehler in ihrer Konstitution.«
Herr Weller brachte seine wissenschaftliche Ansicht mit einer Menge bestätigender Winke und Gebärden vor: und als Frau Weller dieselben bemerkte und irgendeine mißliebige Beziehung auf sich oder Herrn Stiggins oder beide bezog, stand sie im Begriff, außerordentlich unwohl zu werden, während Herr Stiggins, sich so gut wie möglich auf die Beine helfend, in einer erbaulichen Rede fortfuhr, die auf das Seelenheil der Gesellschaft, insbesondere aber Herrn Samuels, abzielte. Er beschwor Weller Junior in rührenden Ausdrücken, die Sünde zu fliehen, der er anheimgefallen sei, alle Heuchelei und allen Hochmut zu meiden, und in allen Stücken ihn (Stiggins) zum Neuster und Vorbild zu nehmen. Dann könne er früher oder später zu dem köstlichen Bewußtsein gelangen, daß er, gleich ihm, ein höchst achtbarer und tadelloser Charakter und alle seine Bekannten und Freunde rettungslos verloren und verworfen seien – ein Bewußtsein, sagte er, das ihm die größte Seligkeit bereiten würde.
Er beschwor ihn ferner, vor allen Dingen das Laster der Trunkenheit zu fliehen, das er den unflätigen Gewohnheiten der Schweine und den giftigen und verderblichen Arzneien verglich, die in den Mund aufgenommen, das Gedächtnis vernichteten. An dieser Stelle seiner Rede wurde der ehrwürdige Herr mit der roten Nase besonders unzusammenhängend, und im Feuer der Beredsamkeit hin- und herschwankend, mußte er sich an der Stuhllehne halten, um das Gleichgewicht zu behaupten.
Herr Stiggins suchte seine Zuhörer zwar nicht vor den falschen Propheten und elenden Spöttern über die Religion zu warnen, die ohne den Verstand, die ersten Lehrsätze de« Glaubens
Weitere Kostenlose Bücher