Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Buchstaben auf blauem Grund an solchen Stellen in der Kirche verewigen, wo die Inschriften am meisten in das Auge fallen.
Der Werkhausmeister in unserm Kirchspiel – wie in den meisten andern – gehört nicht zu der Klasse von Menschen, die bessere Tage gesehen haben und sich in ihrer späteren niedrigeren Stellung gedemütigt und unzufrieden fühlen. Wir wissen nicht, was er früher gewesen ist, sollten aber meinen, ein Advokatenschreiber geringerer Sorte oder ein Unterlehrer. Doch gleichviel, es ist klar, daß sich seine Lage verbessert hat. Freilich ist sein Einkommen gering, wie sein schwarz gewesener Rock mit abgetragenem Samtkragen bezeugt; allein, er hat doch freie Wohnung, Heizung und Licht und eine fast unbeschränkte Autorität in seinem winzigen Königreich.
Er ist ein großer, hagerer, knochiger Mann, trägt immer einen Überrock, Schuhe und schwarze wollene Strümpfe und blickt die vor seinem Fenster Vorübergehenden an, als ob er wünschte, daß sie Kirchspielarme sein möchten, nur um sie ein Pröbchen seiner Gewalt fühlen zu lassen. Er ist das wahre Muster eines kleinen Tyrannen; mürrisch, brutal und übellaunig, bramarbasierend gegen die unter ihm Stehenden, kriechend gegen seine Vorgesetzten und eifersüchtig auf den Einfluß und die Autorität des Kirchspieldieners.
Unser Schulmeister ist der wahre Gegensatz dieses liebenswürdigen Beamten. Er gehört zu den Menschen, die vom Mißgeschick wahrhaft verfolgt zu werden scheinen; nie ist ihm etwas geglückt. Ein reicher alter Anverwandter von ihm, der ihn erzog, versprach und vermachte ihm in seinem Testament 10 000 Pfund und widerrief die Verfügung in einem Zusatz. Auf seine persönlichen Hilfsmittel beschränkt, verschaffte er sich eine Stelle in einem Büro. Die jüngeren Schreiber, die er hinter sich hatte, starben wie die Fliegen, als wenn die Pest unter ihnen gewütet hätte, die älteren vor ihm, auf deren Tod er so sehnsüchtig hoffte, lebten fort, als wenn sie unsterblich wären. Er ließ sich in eine Spekulation ein und kam um sein Geld. Er spekulierte zum zweitenmal, machte einen bedeutenden Gewinn und – gelangte nie zu seinem Geld.
Er besaß bedeutende Anlagen, war gefällig, großmütig und freigebig. Seine Freunde benutzten die ersteren und trieben Mißbrauch mit seiner Dienstfertigkeit und Freigebigkeit. Ein Verlust folgte dem andern, ein Unglück dem andern, jeder Tag brachte ihn dem Abgrund hoffnungsloser Verarmung näher, und gerade seine wärmsten Freunde wurden am kältesten und gleichgültigsten. Er hatte Kinder, die er liebte, und eine Gattin, die er anbetete. Jene wendeten ihm den Rücken, diese starb gebrochenen Herzens. Er ließ sich von dem Strom fortstrudeln – dies war von jeher seine Schwäche gewesen, und er besaß nie Kraft und Mut genug, sich bei so vielen Schicksalsschlägen aufrecht zu halten –, er hatte nie für sich selber gesorgt, und die einzige, die in seinem Elend für ihn gesorgt hatte, war ihm entrissen.
Er kam um die Unterstützung des Kirchspiels ein. Zufällig war ein gutherziger Mann, der ihn in besseren Zeiten gekannt hatte, in dem Jahr Kirchenvorsteher und verschaffte ihm durch seinen Einfluß die Lehrerstelle, die er gegenwärtig innehat. Er ist ein alter Mann geworden. Von seinen vielen Maulfreunden aus besseren Tagen sind einige gestorben, einige, wie er selbst, vom Unglück, andere vom Glück heimgesucht – vergessen haben ihn alle. Zeit und Leid haben sein Gedächtnis wohltätig geschwächt, und Gewohnheit hat ihm seine Lage erträglich gemacht. Weil er so sanftmütig ist, niemals klagt und stets so eifrig seines Amtes waltet, hat man ihm das letztere lange über die gewöhnliche Zeit hinaus gelassen, und er wird es ohne Zweifel behalten, bis das Alter ihn vollkommen unfähig macht, es weiterhin zu versehen, oder der Tod ihn davon erlöst. Wenn der grauhaarige alte Mann zwischen den Schulstunden an der Sonnenseite seines kleinen Hofraums mit wankenden Schritten auf und nieder geht, dann würde es seinen vormaligen Freunden, selbst den vertrautesten, schwer werden, in dem armen Kirchspielschulmeister den einst so munteren Gefährten bei ihren Lustbarkeiten wiederzuerkennen.
Der Pfarrer – Die alte Dame – Der Kapitän
Unser Pfarrer ist ein junger Mann von so einnehmendem Äußern und so gewinnendem, bezauberndem Wesen, daß noch kein Monat nach seinem Erscheinen im Kirchspiel vergangen war, als auch schon die Hälfte unserer jungen Damenwelt vor Frömmigkeit melancholisch wurde und
Weitere Kostenlose Bücher