Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
holen und das Mädchen dann mit mir fortnehmen.«
    Darauf Mim (wieder mit einigen Flüchen):
    »Ich werde es glauben, wenn ich die Sachen habe, und nicht früher.«
    Ich lief, so rasch ich konnte, damit er es sich nicht etwa noch anders überlegte, und der Handel kam zustande. Pickleson freute sich so sehr darüber, daß er der Länge nach, wie eine Schlange, zu seiner kleinen Hintertür herauskam und uns »Ist’s nicht kalt?« zwischen den Rädern zum Abschied flüsternd vortrug.
    Es waren glückliche Tage für uns beide, als Sophy und ich in dem Karren zu reisen begannen. Ich hatte ihr ein für allemal den Namen Sophy gegeben, damit sie für immer mir gegenüber die Stellung meiner leiblichen Tochter einnehmen sollte. Durch die Güte des Himmels gelang es uns bald, uns zu verständigen, sobald sie zu der Überzeugung gekommen war, daß ich es ehrlich und freundlich mit ihr meinte. In ganz kurzer Zeit hatte sie eine wunderbare Zuneigung zu mir gefaßt. Ihr könnt euch nicht denken, wie es ist, wenn jemand einem wunderbar zugetan ist, wenn nicht die Einsamkeitsgefühle, von denen ich euch erzählt habe, euch nicht schon niedergedrückt haben und über euch hergefallen sind.
    Ihr hättet gelacht – oder das Gegenteil, das hängt von eurem Gemüt ab –, wenn ihr bei meinen Versuchen, Sophy zu unterrichten, hättet dabeisein können. Zuerst halfen mir dabei – ihr würdet das nie erraten – die Meilensteine. Ich verschaffte mir einige große Alphabete in einer Schachtel, jeder Buchstabe für sich auf einem kleinen Stäbchen, und angenommen, wir fuhren nach Windsor, so setzte ich die Buchstaben zu diesem für sie zusammen, machte sie dann auf jeden Meilenstein aufmerksam, auf dem die Buchstaben in derselben Reihenfolge standen, und wies schließlich auf die königliche Residenzstadt, der wir uns näherten. Ein andermal stellte ich die Buchstaben KARREN für sie zusammen und schrieb dann dasselbe Wort mit Kreide auf den Karren. Ein andermal gab ich ihr DOKTOR MARIGOLD und heftete ein Schildchen mit der entsprechenden Aufschrift auf meine Weste. Die Leute, die uns begegneten, starrten uns zwar an und lachten, aber was machte ich mir daraus, wenn sie die Sache nur begriff. Sie begriff sie, nachdem ich viel Geduld und Mühe aufgewendet hatte, und von da an ging es wie geschmiert, das könnt ihr mir glauben. Zu Anfang war sie zwar ein wenig geneigt, mich für den Karren zu halten und den Karren für die königliche Residenzstadt, aber das war bald vorüber.
    Wir hatten auch unsere privaten Zeichen, und es waren viele Hunderte. Bisweilen saß sie, den Blick auf mich gerichtet, da und überlegte eifrig, wie sie sich über etwas Neues mit mir verständigen könnte – wie sie mich etwas fragen könnte, was sie erklärt zu haben wünschte –, und dann war sie (oder es schien mir zumindest so) meinem Kind, wenn es ebenso alt gewesen wäre wie sie, so ähnlich, daß ich halb glaubte, es sei es wirklich und wäre nur gekommen, um mir zu erzählen, wo es im Himmel gewesen wäre und was es seit jener unseligen Nacht gesehen hätte, nachdem es davongeflogen war. Sie hatte ein hübsches Gesicht, und jetzt, wo sie niemand mehr an ihrem glänzenden schwarzen Haar zerrte und es in Ordnung war, lag etwas Rührendes in ihren Blicken, das den Karren ruhig und friedlich, aber nicht im mindesten melancholisch machte.
    Es war wirklich zum Staunen, wie sie jeden meiner Blicke zu verstehen lernte. Wenn ich abends mit dem Verkaufen beschäftigt war, saß sie, vom Publikum ungesehen, im Wagen drinnen, sah mir scharf in die Augen, wenn ich einen Blick hineinwarf, und reichte mir dann ohne Zögern genau den Artikel oder die Artikel, die ich brauchte. Und dann klatschte sie vor Freude in die Hände und lachte. Und was mich angeht, so mußte ich immer daran denken, wie sie ausgesehen hatte, als ich ihr zum erstenmal begegnet war: wie sie schlafend gegen das kotige Karrenrad gelehnt dagesessen hatte, halb verhungert, verprügelt und in Lumpen gehüllt. Und sie jetzt dagegen so glücklich zu sehen, das stimmte mich so froh, daß mein Ruf besser denn je wurde. Aus Dankbarkeit aber vermachte ich Pickleson (unter dem Namen »Mims reisender Riese, sonst Pickleson geheißen«) in meinem Testament eine Fünfpfundnote.
    Dieses glückliche Leben im Wohnwagen ging so weiter, bis Sophy sechzehn Jahre alt war. Um diese Zeit befielen mich Zweifel, ob ich meine volle Pflicht an ihr getan hätte und ob sie nicht einen besseren Unterricht haben müßte, als ich

Weitere Kostenlose Bücher