Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
verabschiedete von Miß Hughes.
Grimaldi war nicht so hoffnungsfreudig wie Mrs. Lewis; er wandte sich seinem Heim zu und suchte bald die Ruhe auf, konnte aber kein Auge zutun, und als Mrs. Lewis am andern Morgen mit seinem Schreiben nach Sadlers Wells hinüber gegangen war, hatte er den Tag in einem Zustande verbracht, daß er selbst nicht recht wußte, wie er so rasch dahingegangen war.
Um fünf Uhr begab er sich nach dem Theater, um Näheres über das Schicksal seines Briefes zu hören.
»Ich habe ihn noch immer nicht abgeben können,« erklärte Mrs. Lewis, »gehen Sie aber in die Garderobe, dort werden Sie Miß Hughes finden, und werden wohl auch nicht lange im unklaren darüber sein, ob Sie ihr Interesse abgewinnen oder nicht, wenn Sie sie eine Weile lang beobachten.«
Er ging in die Garderobe. Sie war dort, sah aber sehr blaß aus und hatte augenscheinlich geweint. Die Stunde, die ihnen blieb, verflog geschwind. Die junge Dame, eilte zu ihrer Vertrauten, um sie nach dem Briefe zu fragen, den Joseph ihr anvertraut hatte.
Mrs. Lewis antwortete schelmisch, freilich, den Brief hätte sie.
»So lassen Sie ihn mich sehen! Ich möchte doch gar zu gern wissen, wer das Mädchen ist, mit dem Joseph glücklich zu werden hofft.«
»Ohne Josephs Erlaubnis kann ich es Ihnen wahrhaftig nicht sagen, liebes Kind,« hatte Mrs. Lewis darauf geantwortet.»Ach, wüßten Sie bloß, was ich seit gestern abend ausgestanden habe!« rief Miß Hughes, war dann ein Weilchen still, rief aber dann erregt, sie fürchte, noch um ihren Verstand zu kommen, wenn sie noch länger in Ungewißheit gelassen würde!«
»Aber wie können Sie bloß so etwas reden, mein liebes Mariechen! Den Verstand verlieren! Sie selbst werden doch kaum so töricht gewesen sein, sich in Joseph zu verlieben? Aber da Ihnen so sehr viel daran liegt, den Brief zu sehen, will ich ihn Ihnen nicht länger vorenthalten; nur müssen Sie mir versprechen, bei der Dame, an die er gerichtet ist, für den armen Joe ein gutes Wort einzulegen.«
Dazu schien sich Miß Hughes gar nicht recht verstehen zu wollen, erwiderte aber endlich stockend, sie wolle versuchen, ob es ihr möglich sein werde. Darauf gab ihr nun Mrs. Lewis den Brief, aber kaum hatte sie die Aufschrift gelesen, so fiel ihr der Brief aus der Hand, und sie sank ihrer Freundin in die Arme…
Grimaldi war unterdessen auf der Bühne, eifrig bemüht, das beste aus seiner Rolle zu machen, weil er sich sagte, daß er nur Aussicht haben könnte, seine Hoffnungen erfüllt zu sehen, wenn er mit seiner Rolle »durchdrückte«. Da sah er kurz vor dem ersten Aktschlusse jemand in die Loge des Mr. Hughes treten… und wen? Die Dame, um die sich all sein Denken drehte!
Zitternd dachte er bei sich: Den Brief muß sie bekommen haben… sie muß sich nun klar darüber geworden sein, wie sie sich verhalten will mir gegenüber! und er hätte alles in der Welt dafür hingegeben, zu wissen, wie die Dinge ständen… Seine Rolle verlangte, daß er dicht ans Orchester trat, also ganz in ihre Nähe… und sie – sie nickte ihm lächelnd zu!O, es war nicht das erste Mal, daß sie ihm zugenickt, ihm lächelnd zugenickt hatte. Diesmal aber geriet er in solche Aufregung und Verwirrung darüber, daß er von all dem, was um ihn her vorging, nicht das geringste mehr sah oder hörte.
Kein Mensch sagte ihm, daß er seine Rolle nicht zu Ende gespielt habe, und so meinte er, sie bis zu Ende gespielt zu haben. Von dem Wie aber hatte er weder einen Begriff, noch auch nur die leiseste Erinnerung.
Glück und Unglück waren in Grimaldis ganzem, an Wechselfällen überreichem Leben immer eigentümlich verknüpft, sodaß er wohl nie eine wirklich große Freude hatte, ohne daß sich gleich darauf etwas ereignete, was sie ihm versalzte. Er spricht hiervon wiederholt, ohne indessen besonderes Gewicht auf diese »Ironie des Schicksals,« wie er sich ausdrückt, zu legen.
An demselben Abend nun, an welchem sich all diese Dinge abspielten, brach ein schweres Gerüst zusammen, auf dem ein Dutzend Männer standen und von dem Grimaldi ein Balken an der Schulter traf. Er wurde verwundet und zwar so schwer, daß man ihn auf der Stelle nach Hause bringen mußte. Ohne Zeit zu verlieren, wurden alle erdenklichen Mittel angewandt, ihn von den unangenehmen Schmerzen zu befreien, die sich infolge der erhaltenen Wunden einstellten; aber helfen konnte ihm eigentlich nur eine Salbe, über dessen Bereitung ihm sein Vater ein Rezept hinterlassen hatte, und die er für
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