Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Dich dort zu treffen.«
»Und was denkst Du nun vorzunehmen?« fragte Joe. –
»O, mein einziger Zweck, nach London zu kommen, war der, Dich und die Mutter wiederzusehen«, antwortete John.
Joe forderte ihn nun auf, bei ihm und seiner Frau zu wohnen, wo er die Mutter ja sehen würde, und John ging mit Freuden darauf ein. Er sagte, er müsse die Mutter unbedingt sehen, da er sonst kein Auge schließen könne, und fragte, wo sie wohne. Joe bezeichnete ihm Haus und Straße, setzte aber hinzu, daß er im Theater nichts mehr zu verrichten habe, sich nur umkleiden wolle und dann zu seiner Verfügung stände.
John gab seiner Freude hierüber lebhaften Ausdruck, und Joe lief in die Garderobe, ihn auf der Bühne allein lassend.
Er war so erregt, daß er alles zwei-, dreimal machen mußte, daß er, statt in die Rockärmel, in dieBeinkleider fuhr – kurz, er brauchte länger als sonst, um fertig zu werden, und als er endlich wieder die Treppe hinunter stürzte, lief ihm Powell in den Weg, hielt ihn mit ein paar nichtssagenden Reden auch noch ein paar Minuten auf, sagte ihm aber dabei, daß er eben noch ein paar Worte auch mit John gesprochen habe.
»Er wartet doch noch?« fragte Joe.
»Gewiß, auf der Bühne. Es ist ja kaum erst eine Minute her, daß ich ihn dort gesehen habe. Aber ich will Sie nicht weiter aufhalten. Wir fällt ein, daß er sagte, Sie blieben ja schrecklich lange. Er schien ungeduldig zu werden über Ihr langes Ausbleiben, sagte auch, Sie hätten nur ganz kurze Zeit wegbleiben wollen.«
Grimaldi sprang die letzten Stufen mit einem Satze hinunter. Aber als er die Bühne wieder betrat, war John nicht mehr da.
Bannister kam zu ihm und fragte ihn, wen er suche. »Meinen Bruder«, antwortete Joe; »ich! habe ihn vor einer kleinen Weile hier verlassen.«
»Ich habe ihn vor einer knappen Minute gesprochen«, antwortete Bannister, »er ging zum Portale hinunter, die große Freitreppe. Ich glaube, daß er nicht länger warten wollte. Aber Sie müssen ihn doch noch einholen.«
Grimaldi eilte zum Ausgange. Der Torwart sagte ihm, sein Bruder sei vor kaum einer Minute zur Tür hinaus und könne noch nicht ganz die Straße hinunter sein. Grimaldi lief ein paar mal in der Straße auf und ab, sah und hörte aber nichts von John. In seiner Freude hatte er vielleicht einen von seinen alten guten Freunden besucht mit der Absicht, gleich wiederzum Theater zurückzukommen. Ganz in der Nähe wohnte solch ein alter Freund, ein gewisser Bowley, mit dem er als Junge manch tolles Stückchen getrieben hatte.
Grimaldi rannte in dessen Wohnung. Auf sein heftiges Klopfen kam Bowley selber vor die Tür hinaus, augenscheinlich in der größten Verwunderung.
»Freilich, freilich!« antwortete er auf Grimaldis Frage, »John war da, wir haben ein paar flüchtige Worte miteinander gesprochen, aber er sagte, er habe heute gar keine Zeit, wolle aber morgen wiederkommen. Jesus«, rief er, »eine größere Überraschung hätte ich mir nicht träumen lassen. Nach so viel Jahren den Jungen wiederzusehen, und so unverhofft! so unverhofft!«
»Und wie lange ist er fort?« fragte Grimaldi.
»Das kann doch kaum eine Minute her sein?« antwortete Bowley; »länger auf keinen Fall, auf keinen Fall.«
»Und in welcher Richtung ist er fortgegangen?«
»Die Duke-Straße entlang.«
Grimaldi schloß hieraus, daß John zu seinem einstigen Hauswirte, einem gewissen Bailey, gegangen sein möchte, der in der Little-Wild-Straße seine Wohnung hatte. Er mußte lange klopfen, ehe ihm jemand antwortete. Eine alte Magd guckte endlich zu einem Fenster heraus und sagte, sie hatte doch schon einmal gesagt, daß der Herr nicht zu Hause sei. Wozu würde bloß noch einmal geklingelt? – Grimaldi gab sich zu erkennen. Das Mißverständnis klärte sich auf. Die Magd sagte, es habe vor wenigen Minuten erst jemand geklopft und nach dem Herrn gefragt, sei aber wieder gegangen, als sie ihm gesagt habe, der Herr sei nichtzu Hause. Grimaldi bat die Magd, ihm zu sagen, wie der Herr ausgesehen habe. Sie konnte aber nur sagen, daß er eine weiße Weste angehabt habe.
In Grimaldi stiegen unbestimmte Befürchtungen auf. Er lief nach dem Schauspielhause zurück, wo aber John nicht wieder vorgesprochen habe, lief von einem Hause zum andern, wo er den Bruder zu finden hoffte, aber weder hier noch dort hatte derselbe sich blicken lassen. Noch einmal eilte er nach dem Schauspielhause zurück, das eben geschlossen wurde, denn die Zeit war schon weit vorgerückt, und nun
Weitere Kostenlose Bücher