Dem eigenen Leben auf der Spur
werde ich morgen zu Gesicht bekommen.
Der geschäftstüchtige Herbergsvater und seine Frau kümmern sich fürsorglich um ihren einzigen Pilger. »Madre mia«, ruft die Herbergsmutter und bekreuzigt sich, als sie mich sieht, und verschwindet in der Küche. Klassische Rollenverteilung, sie kocht, er setzt sich zu mir und trinkt mit mir Bier. Anschließend führt er mich durch die erst vor wenigen Monaten eröffnete Unterkunft. Besonders stolz ist er auf die Rampe vor der Tür und die extra breite Tür zum Badezimmer — ich bin der lebende Beweis dafür, dass er sich bei ihrem Einbau richtig entschieden hat.
Er zieht sich zurück und ich lasse die Gedanken baumeln. Was zieht mich so stark zu Don Blas?
Als Schüler wollte ich Theologie studieren und mein Leben Gott widmen. Ich habe eine Begabung, andere mitzureißen, und was ist besser, als diese Gabe in den Namen des Herrn zu stellen und Lichter anzuzünden. Während meines Schüleraustauschjahres in den USA zog mich mein Gastvater, ein lutheranischer Pastor, stark in seine Gemeinde hinein. Ich sang als Sunday School Teacher vor gefüllten Kirchenbänken und war selbstverständlich bei jeder Bibelstunde treu dabei. Trotz der unzähligen Predigten und Sessions vermisste ich aber auch bei dem Reverend etwas, was ich bisher bei Gottesmännern gar nicht so häufig angetroffen habe: Güte und wahre Liebe. Er richtete, aber er verzieh nicht, nicht einmal seinen eigenen Kindern.
Ich liebe diese Meilensteine!
Etwas abgekühlt gegenüber der Institution Kirche kehrte ich aus Amerika zurück und blieb während der gesamten Oberstufe Gotteshäusern fern. Die Liebe zum Gitarrenrock lieferte Ersatz.
Dann geschah der Unfall.
Ich wählte den Weg des geringsten Widerstands und studierte mit Betriebswirtschaftslehre ein Fach, das mir bei kleinem Lernaufwand und ohne allzu große emotionale Verstrickung versprach, mich zügig zum Diplom zu bringen. Den eingeschlagenen Weg ging ich konsequent weiter, bis in eine Bankzentrale.
Auf dem Weg zur Arbeit spürte ich Gott jeden Tag aufs Neue, und mit einem leisen Dankesgebet beginne ich jeden werdenden Tag bei ihm. Dieser kurze Kilometer, ich hatte mir extra eine Wohnung ganz in der Nähe meines Arbeitsplatzes gesucht, ließ mich noch einmal Kraft tanken für die bevorstehende Zeit an meinem Arbeitsplatz im 21. Stock mit grandiosem Blick auf den Feldberg. Dann huschte ein Lächeln über mein Gesicht, weil ein Vogel laut vernehmbar zwitscherte, oder weil ich auf diesem schon tausendmal gegangenen Weg etwas Neues entdeckte. Es ist schön, am Leben zu sein und das intensiv wahrzunehmen, gleichgültig wie spärlich diese Momente zur Zeit auch sind.
»Wenn ich Gott nicht hätte, würde ich durchdrehen. Aber er ist immer bei mir«, erklärte ich meiner Freundin Nicole, als ich eines Tages einen hohen Betrag bei Aktiengeschäften verlor. Ich wusste, dass alles gut war. Den Verlust würde ich hinnehmen müssen, aber meinen himmlischen Vater würde ich immer bei mir haben.
Dennoch ging ich an diesem Abend bestürzt nach Hause und fühlte mich schlecht. Für so ein Ergebnis arbeitete ich eigentlich zu viel und zu hart, also fragte ich Gott, wie das passieren konnte. »Wofür willst du das Geld«, vernahm ich intuitiv. »Bist du glücklicher mit einigen tausend Euro mehr oder weniger?« Ich kam ins Grübeln. Mehr Geld ließ mich weder ruhiger schlafen, noch machte mich ein etwas höherer Kontostand dauerhaft glücklicher. »Was du besitzt, besitzt dich«, erklärte mir Guido, der sich gerade selbständig machte. Mehr Vermögen macht nicht automatisch freier, es sei denn, es ist sinnstiftend im Dienste Gottes eingesetzt. Welche Formen das annehmen wird, verrät mir dann die Intuition, da bin ich mir sicher.
Viele meiner Kollegen würden mir hier widersprechen und einwenden, dass man mit mehr Geld früher aufhören könne zu arbeiten, mehr Geld somit realer Gewinn an Lebenszeit sei. Diese alleinige Ausrichtung auf eine rosigere Zukunft verleugnet die Möglichkeit, im Hier und Jetzt glücklich zu sein. Nachdem ich vor drei Jahren 800 Kilometer auf dem nördlichen Jakobsweg mit meiner Freundin gepilgert bin, habe ich am Ziel eines vermisst: den Weg dorthin.
In einer »Geldmaschine« werden diese Zusammenhänge oft negiert, schließlich definieren sich die meisten über Geld und Besitz. Hier ist mehr eindeutig mehr. Auch ich bin davon keineswegs ganz frei, schließlich drehen sich die meisten Inhalte meiner Arbeit um diese Themen, und
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