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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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unterwegs spüre ich mich Gott stärker verbunden als in der Kathedrale von Santiago.
    Gott ist in vielem erfahrbar, auf einer Autofahrt, in einem Kinofilm oder in der Kirche, aber im Gleichklang mit der Natur, ohne künstliche Reize, wird die leise innere Stimme deutlich. Es ist unmöglich, vor großen Themen davonzulaufen. Die Wut oder Aufregung über eine Situation, die nicht zu ändern ist, weicht der Demut. Hier erkennt der Pilger, dass Innen und Außen miteinander verwoben sind und das Außen eine Konsequenz des Inneren ist.
    »Ich habe festgestellt, dass ich den Regen nicht stoppen kann«, war das verblüffende Fazit von Bernhard nach 2000 Kilometern Wanderung. »Ich kann nur meine Einstellung zu ihm ändern.«
    Wenn der Pilger offen ist wie ein Gefäß, kann er sich vom Heiligen Geist erfüllen lassen. Verborgene Zusammenhänge werden transparent, tiefe Sehnsüchte offenbar, und bei alledem empfindet der Pilger Dankbarkeit und Glück.
    Manchmal wache ich beim Pilgern aus einer Trance auf und stelle überrascht fest, dass ich viele Kilometer weitergekommen bin, ohne mich erinnern zu können, was in den letzten fünf Minuten passiert ist. Die meisten Sorgen und Ängste verlieren in der grenzenlosen Weite ihre Relevanz, ein »Pilgergefühl« entsteht. Den Boden berühre ich dann nicht mehr wirklich, ich schwebe wenige Zentimeter darüber.

    Die endlose Hochebene von Meseta
     
    Viele Pilger kennen das Gefühl des inneren Friedens, das sind diese geschenkten Momente und Kilometer, in denen Gottes Liebe einen vollständig durchdringt. Durch sie werden die Schmerzen leichter und die Zweifel geringer. Ich vertraue der Führung und dem Schutz Gottes, der mir jeden Tag die Kraft gibt, allen Widrigkeiten zu trotzen und weiterzumachen. Die Gewissheit, das Richtige zu tun, erfüllt mich.
     

3 HALBZEIT
     
    I ch bin aufgeregt. Morgen werde ich die größte Stadt auf meiner Reise erreichen. In einer Großstadt fühle ich mich als Pilger immer etwas kleiner, das war auf dem Camino Francés auch schon so. Als ob die Stadt und ihre Bewohner erst mal erobert werden wollen, nehmen sie von dem Pilger scheinbar nichts wahr. Eine vielleicht etwas außergewöhnliche Erscheinung fällt in einem reizüberfluteten Umfeld mit seinen zahllosen Sinneseindrücken überhaupt nicht auf.
    Doch zuvor werde ich in der Herberge von San Pedro de Rozados, der letzten Station vor Salamanca, wärmstens aufgenommen. Ich werde als ein Freund von Don Blas empfangen, denn ich trage die wärmende Pilgerweste, die er mir zum Abschied noch geschenkt hatte. Der Name seiner Gemeinde ist in großen Buchstaben darauf gestickt. Noch niemals habe ich ein Kleidungsstück mit so vielen Taschen und Staumöglichkeiten besessen. Sollte mein Rucksack kaputtgehen, könnte ich wahrscheinlich alles in dieser Weste unterbringen.
    Als ich in der Bar den Quartierschlüssel abhole, unterbrechen zwei Männer ungefragt ihr Kartenspiel und begleiten mich und die Herbergsmutter zu der nahe liegenden Herberge. Auf dem Schild am Marktplatz steht eine Entfernungsangabe nach Santiago, demnach sind es nicht einmal mehr 500 Kilometer. Ich misstraue solchen Angaben hier grundsätzlich, aber auf 50 Kilometer mehr oder weniger kommt es jetzt für mich wirklich nicht mehr an.
    Die Männer wuchten mich die kleine Treppe hinauf, nachdem ich mit der Herbergsmutter zusammen das Domizil begutachten durfte und — was für eine Gunst — meine Wünsche für das Abendessen erfragt wurden. Sie freut sich darüber, dass ich nach meiner langen Wanderung zum Essen zu ihr in die Bar kommen möchte. Wenn sie mit dem Kochen fertig ist, holen mich die Männer wieder ab. Das nenne ich Service! Ich freue mich und beschließe, mir deshalb kein schlechtes Gewissen machen zu müssen.
    Das Essen schmeckt herrlich. Es sind nur eine Handvoll Gäste in der Bar, aber die scheinen sich dafür schon ewig zu kennen. Die Herbergsmutter und ihr Mann sind in diesem Weiler geboren. Sie versprechen, mir morgen früh um 8 Uhr die Treppe hinunterzuhelfen.
    Prompt verschlafe ich. Um kurz vor acht wache ich nach einem todesgleichen Schlaf auf, und da sich auf der Straße aber auch gar nichts regt, ziehe ich mich in aller Ruhe an. Gegen 9 Uhr kommt der verschlafene Herbergsvater, der sich entschuldigt. Seine Frau habe ihn zu spät geweckt.
    Unterwegs erschrecke ich fast zu Tode, als mich ein Radfahrer plötzlich von hinten anspricht. Der Wind weht so heftig, dass ich aufgehört habe, auf Geräusche zu achten. Er plaudert

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