Dem eigenen Leben auf der Spur
Betriebswirtschaft bedeutet nun einmal Gewinnmaximierung.
Für ein neu eingeführtes Produkt bei meiner Arbeit habe ich den Slogan »Früher frei« erfunden. Eigentlich eine groteske Formulierung, denn ich bin ja jetzt schon frei.
Wegbegleiter
Der ehrliche Grund, warum ich 2500 Kilometer auf dem Jakobsweg pilgere und dafür eine ebenso hohe Anzahl von Kilometern in einsamen Wäldern als Training absolviere, lautet: Ich möchte Gott in der Stille erfahren. Fragen, die mich unter der Woche bedrücken, lösen sich in der Meditation. Im Einklang mit der Natur, im eigenen Rhythmus des Vorankommens fallen viele Störgeräusche und negative Empfindungen einfach weg. Oft vergesse ich wenig später die Antworten, die ich auf meine Fragen erhalten habe, aber das Gefühl der tiefen Ruhe und Sinnhaftigkeit aller Prozesse bleibt.
An solchen Tagen bin ich glücklich. Ich habe lediglich ein paar Brote und Obst verzehrt und Wasser getrunken. Ein paar tausend Euro mehr oder weniger? All das verliert hier seine Relevanz.
Fast wie im Traum erlebe ich meine Ankunft im Refugio von Don Blas. Die Vorfreude war so groß, dass ich bei meiner Ankunft zum ersten Mal daran glaube, eine reelle Chance zu haben, es bis Santiago zu schaffen. Fast die Hälfte der Strecke liegt hinter mir, überbrückt in Rekordzeit. »Blitzkrieg« höre ich Ludek im Geiste sagen, aber der ist bereits vor zwei Tagen hier durchmarschiert. Ein Radfahrer und ich sind die ersten Pilger des heutigen Tages, die Herberge ist ansonsten verlassen. Wir gehen erst mal ein Bier trinken, die verschwitzte Kleidung können wir später wechseln.
Die Spanier trinken ihr Bier immer äußerst zügig. Nach zwei schnellen Runden und den dazugehörigen Tapas, die automatisch mitserviert werden, sind wir kurze Zeit später zurück. Inzwischen ist auch Don Blas eingetroffen und lädt uns ein, einer Taufe, die er gleich vollziehen möchte, beizuwohnen.
Don Blas’ Mutter ist vor vier Tagen gestorben. Ich will ihm mein Mitgefühl ausdrücken und sagen, dass auch mein Vater kürzlich verstorben ist, aber wir werden unterbrochen.
Hier herrscht erst mal Trubel. Seit Freitag ist das gesamte Dorf auf den Beinen und feiert ein Fest. Vier Generationen, vom Baby bis zu den Urgroßeltern, haben sich mit ländlichem Schick herausgeputzt und flanieren nun über die Hauptstraße. Wir wenigen Pilger fallen nur durch unsere Kleidung etwas aus dem Rahmen, aber das ist man hier gewohnt, schließlich ist ein Besuch bei dem bekannten »Blas«, wie man den Padre hier nennt, für jeden Pilger ein Muss.
Don Blas zelebriert die Taufe
Bevor wir uns ebenfalls in den Trubel der Festivitäten stürzen, essen wir zu acht gemeinsam in der Küche des Gemeindehauses. Ständig platzt jemand herein oder verlangt telefonisch Don Blas, der aber in sein Elternhaus zurückgefahren ist. Einige Dorfbewohner bringen uns einige Flaschen selbst gekelterten Wein. Der Pfarrer und seine Pilgerhorden werden von der gesamten Gemeinde bestens versorgt.
Gegen Mitternacht kehrt Don Blas zurück. Er sieht müde aus, aber wir kommen jetzt doch noch ins Gespräch. Zusammen mit dem Hospitalero Peter, einem ehemaligen Direktor einer Schweizer Großbank, sprechen wir bis zum frühen Morgen, einem Sonntagmorgen, über den Jakobsweg und den Pilgergedanken. Der Pater hat eine Vision, er möchte eine globale Pilgerbewegung von Fuenterroble aus initiieren. Über Ostern organisiert er bereits die »Vía Lucis« mit 3000 Pilgern aus den umliegenden Gemeinden, wobei mittlerweile sogar Christen aus ganz Spanien anreisen. Er möchte am liebsten schon heute Abend meine verbindliche Zusage, dass ich auch mitmachen werde.
»Wenn mein Spanisch besser ist«, verspreche ich ihm.
Er bietet mir an, eine zusätzliche Nacht zu bleiben, aber ich möchte am Sonntagmorgen nicht in die Messe, sondern in meine »Kathedrale«: Ich bin süchtig nach meinem Camino Fix. This is my church, this is where I heal my hurts.
Warum bin ich so vollkommen glücklich? Bei meiner Arbeit bin ich oft unzufrieden, bin neidisch auf Kollegen und ihre Projekte, befinde mich manchmal in einem absurden Wettlauf. Hier jedoch fühle ich mich frei, ungefiltert spüre ich mich und meine Umwelt, in tiefer Meditation bekomme ich Antworten auf meine Fragen und die Gnade, alte Verletzungen zu heilen. Es ist sehr einfach, mit einem klaren Ziel zu leben. Auf diesem Weg ist das Ziel Santiago, in meinem Leben Gott. Natürlich ist der Weg gleichzeitig das Ziel, denn
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