Dem Himmel entgegen
hoch.
“Es tut mir Leid”, sagte er schnell.
“Ist schon gut”, antwortete sie im selben Atemzug.
Sie hatte Schmetterlinge im Bauch, als sie ihm in die Augen sah und dort dieselbe Sehnsucht und dasselbe Bedürfnis nach Liebe fand, die auch sie spürte.
“Ich habe Sie wegen dieser Geschichte wirklich schlecht behandelt. Das war übertrieben und dumm. Ich hätte nicht so reagieren sollen.”
“Und ich hätte zuerst mit Ihnen darüber sprechen sollen. Ich wusste doch, wie Sie empfanden.”
“Aber nein, die Entscheidung lag doch ganz allein in Ihren Händen.”
So nette Worte, dachte sie mit schmerzerfüllter Belustigung. In ihren Blicken lag so viel Zuneigung – und doch konnte sie im Gespräch diese Gefühle nicht offenbaren. Sie spürte die Wärme seiner Haut auf der ihren, und den sanften Druck seiner Hand bildete sie sich nicht ein.
Cinnamon begann hoch und schrill zu kreischen. Ella zog ihre Hand zurück, als Harris einen Schritt nach hinten machte. Eine der freiwilligen Helferinnen war gekommen und trug einen Eimer mit Mäusen und Fischen zu den Volieren mit den kranken Vögeln auf der medizinischen Station. Sie hatte einen Regenanzug und Gummistiefel an und hielt kurz an, um sie freundlich zu grüßen, als sie vorüberging.
Der Moment war verflogen, und Ella war dankbar dafür. Sie hatte mit sich gerungen, um ein Verhältnis zu Harris aufzubauen, in dem sie miteinander arbeiten konnten, ohne dass ihre Gefühle ständig mit ihr durchgingen.
Doch er konnte ihr diese Empfindungen ganz leicht wieder entlocken, so wie ein Magier leuchtend bunte Tücher aus einem Hut zaubern konnte, eines nach dem anderen, in einer prächtigen, faszinierenden, nicht enden wollenden Reihe. Bildete sie sich die Blicke, die fast greifbare Spannung zwischen ihnen, wenn sie Seite an Seite standen, oder die unzähligen Momente der stillen Aufmerksamkeit, der Beobachtung des anderen denn nur ein? Die Magie der Augenblicke ließ sie erbeben, obwohl sie sich selbst schalt, dass sie schon wieder auf etwas hereingefallen war, was doch nicht mehr als nur der Traum einer einsamen Frau war.
Er hat das Profil eines Falken, dachte Ella, als sie seine lange Stirn und seine starke, spitze Nase betrachtete. Sogar im Dämmerlicht konnte sie die leichte Bräune erkennen, die Harris von der Arbeit an der frischen Luft in der Vorfrühlingssonne hatte. Es ist die Bauarbeiter-Bräune, witzelte Harris immer, denn sie reichte nur bis zu den Oberarmen und in den Nacken, wo das T-Shirt endete. Er stand vor dem Gehege mit den kranken Tieren, in dem einige Adler-Waisen hockten, die am frühen Morgen mit einem Spezialkurier von Florida hergebracht worden waren. Jeder der Mitarbeiter des Centers war aufgeregt gewesen, die Tiere in ihre Obhut zu nehmen, doch am meisten hatte Harris sich auf die Ankunft der Adler gefreut.
“Ich dachte mir schon, Sie hier bei den Babies zu finden.”
Er lächelte sie an und widmete sich dann wieder den Adlerjungen. “Sie sind erstaunlich.”
“Diese kleinen Tiere haben hier heute schon für einen mächtigen Wirbel gesorgt”, sagte sie und trat an seine Seite. Die Schatten im Käfig wurden länger, da der Tag zu Ende ging, doch sie konnte immer noch die zwei scharf umrissenen dunklen Silhouetten der Vögel im Käfig ausmachen.
“Es ist sehr selten, dass uns ein Pärchen geschickt wird, das noch so jung ist.”
Sie erwiderte nichts. An seinem Blick konnte sie erkennen, dass das Alter dieser Adler nichts mit seiner Ehrfurcht zu tun hatte.
“Ihre Eltern sind erschossen worden, als die beiden noch Küken waren. Das Rehab-Center in Florida hat sich der Nestlinge angenommen und sie aufgepäppelt, bis sie stehen und ihr Futter allein fressen konnten. Bei den Adlern kümmern sich immer beide Elternteile um die Jungen, wussten Sie das? Sie sind bemerkenswert gute Eltern und biegen zum Beispiel ihre Krallen ein, wenn sie zum Nest zurückkehren, um nicht versehentlich eines der Kleinen zu verletzen.”
“Was geschieht mit ihnen?”
“Wir werden diese Tiere für die nächsten Wochen in einer Art Nistkasten unterbringen, bis sie flügge sind.”
“Was für ein Nistkasten?”
“Haben Sie die Kästen noch nicht gesehen? Das ist eine geräumige Box, die hoch oben auf einer Art Turm steht, auf der anderen Seite des Weihers. Der Kasten ist mit Eisenstäben gesichert, durch die die Tiere zwar nach draußen schauen können, die sie gleichzeitig aber auch vor Feinden und vorm Hinausfallen schützen. Es ist ein bisschen
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