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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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hörten sie eine Eule rufen. Harris vergrub seinen Kopf in ihrer Halsbeuge, und sie hielten einander mit einer Vehemenz, die an Verzweiflung grenzte.

20. KAPITEL
    G eschwistermord:
Dieses Phänomen taucht bei verschiedenen Spezies von Vögeln auf. In einem Nest, wo zwei oder mehr Junge heranwachsen, kann es dazu kommen, dass der stärkste Nestling die schwächeren angreift oder sogar tötet. Geschwistermord erlaubt es den überlebenden Jungvögeln mehr Futter von den Elterntieren zu bekommen und so ihre Chancen zu erhöhen, die kritische erste Lebensphase zu überstehen
.
    Eine rekordverdächtige Hitzewelle schwappte über die Küste des Südostens Amerikas. Die einzigen Klimaanlagen im Haus waren in Ellas und in Marions Schlafzimmer, und so verbrachten Fannie und Marion die meiste Zeit eingeschlossen in dem Kinderzimmer. Ella konnte die Schritte der beiden und ab und an lautes Gelächter durch die Decke hören. Am Abend, wenn Ella beim Zubereiten des Essens in der Küche fast vor Hitze verging, nahm Fannie Marion oft mit zum Schwimmen in den Weiher. Fannie rief vor jedem
Platsch
, das ertönte, “Hoppala!”, und Ella konnte von der Veranda aus Marion vor Vergnügen quietschen hören. Wenn die beiden dann vom Schwimmen zurückkehrten, um sich umzuziehen, hatte die drückende Hitze schon die Feuchtigkeit des Wassers von ihrer Haut vertrieben und in kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn verwandelt.
    Die feuchte Hitze ließ auch nach Sonnenuntergang nicht nach. Fannie und Marion liebten es, sich auf dem Sofa auszustrecken und fernzusehen, während ein Ventilator die stickige Luft um sie herum verwirbelte. Ella kam aus der Küche, um den Tisch einzudecken und hielt mit einem Stapel Tellern in den Händen kurz inne, um einen Blick auf das Paar zu werfen, das Seite an Seite auf dem Sofa lag. Sie konnte sich nicht helfen, aber Mutter und Tochter ähnelten sich wirklich sehr. Ihr blondes Haar hatte den gleichen Farbton, und Marion hatte von Fannie den zarten Knochenbau geerbt. Mit den weichen Haaren, die sich um ihre Köpfe kräuselten, und den geröteten glühenden Wangen sahen sie aus wie Feen.
    Sie sind aus einem Fleisch und Blut, und das verbindet sie für immer, dachte Ella und spürte, wie die Distanz zwischen ihr und Marion immer weiter wuchs. Das Kind nahm nicht einmal mehr wahr, ob Ella im Raum war oder nicht. Ella zog das Geschirrtuch hervor, das sie um ihre Taille gewickelt hatte, und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und den Augen, während sie in die Küche zurückkehrte.
    Die Mahlzeiten waren am schlimmsten. Am Tag konnten sie sich wie Planeten in unterschiedlichen Umlaufbahnen frei bewegen, doch beim Essen mussten sie zusammen am Tisch sitzen und sich angemessen benehmen. In den ersten Tagen nach Fannies Ankunft war es Ella gelungen, sich dem allabendlichen Ritual des Tischgebetes zu entziehen. Wenn es so weit war, hatte sie immer wichtige Pflichten in der Küche vorgeschoben. Sie spielte die Rolle der Krankenschwester, des Kindermädchens, des Kochs und des Hausmädchens. An diesem Abend jedoch flog die List auf. Harris nahm sie zur Seite und verlangte von ihr, sich mit der Familie an den Tisch zu setzen.
    “Wer spricht heute das Gebet?” fragte er, als endlich alle um den Tisch versammelt waren.
    “Mama soll es machen!” schlug Marion vor.
    “Na gut, mein Schatz.” Fannie zog die Brauen hoch. “Es ist allerdings schon eine ganze Weile her.”
    Als sie einander die Hände zum Gebet reichten, zuckte Ella bei dem Gedanken daran, Fannies Hand zu halten, zusammen. Fannie jedoch schien die Aussicht darauf zu gefallen, und ihre Augen blitzten auf. Ella schaute zu Marion hinüber und erstarrte bei dem, was sie in ihrer kleinen Handfläche erblickte und was verdächtig nach Schokolade aussah.
    “Marion, was ist das da in deiner Hand?”
    Marion zog schnell die Hand weg und versteckte sie unter dem Tisch. “Nichts.”
    “Das ist doch Schokolade, hab ich Recht?”
    “Nein, das ist keine Schokolade.”
    Ellas und Harris’ Blicke trafen sich.
    “Zeig mir deine Hand”, forderte Harris sie auf.
    Marion wischte unauffällig ihre Hand an ihrer Hose ab und hielt sie dann ihrem Vater entgegen. Harris ergriff das Händchen und roch daran. “Woher hast du die Süßigkeiten?”
    Ella sah Fannie direkt in die Augen. “Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Marion keinen Zucker zu sich nehmen darf. Das ist nicht gut für sie.”
    “Das Kind war kurz vor dem Verhungern! Und außerdem, was soll so ein

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