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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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konnte sein eigenes Wort kaum noch verstehen. Ella stand aus dem Schaukelstuhl auf und wollte zur Tür gehen. Doch Fannie streckte ihren Arm aus und hielt sie zurück. Ella machte auf dem Absatz kehrt, um Fannie anzusehen, und bemerkte, dass Fannies Augen vor Entschlossenheit glühten und ihr Griff eisenhart war.
    “Ich will eine gute Mutter sein, verdammt”, schrie Fannie gegen den Sturm an.
    “Dann seien Sie eine.”
    “Aber ich kann es nicht allein.” Sie ließ Ella los und verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich … ich muss lernen, wie ich mich um sie kümmere. Ich muss alles über diese Diabetes-Sache wissen, über ihre Ernährung und die Spritzen. Es gibt so viel, was ich noch nicht weiß. Ich habe sie mit ihr erlebt. Sie sind gut in ihrem Job. Sie sind so sicher. Ich weiß, dass ich wohl die letzte Person bin, der Sie helfen würden, aber ich muss Sie darum bitten. Wenn Sie es nicht für mich tun wollen, dann tun Sie es für Marion. Bitte, Ella, bringen Sie mir bei, wie ich mich um mein Kind kümmern kann.”
    Ella lag völlig entspannt in dem heißen Schaumbad, das sie in der alten Badewanne mit den geschwungenen Füßen nahm. Von Zeit zu Zeit strich sie mit einem Tuch über ihre Haut, die nur noch die Erinnerung an die Liebkosungen, die sie genossen hatte, kannte. Dies war nicht der Körper der Frau, die vor einigen Monaten an diesem seltsamen Ort Zuflucht gefunden hatte. Die Jahreszeiten hatten sich geändert. Der Winter war in einen heißen Sommer übergegangen, die Bäume waren nicht mehr kahl, sondern trugen prächtiges Laubwerk. Und
sie
hatte sich ebenfalls verändert.
    Sie schloss langsam die Augen, und ihre Brüste und Knie ragten wie kleine weiße Inseln aus dem warmen Wasser. Sie befand sich noch immer in einem Dilemma, obwohl die Entscheidung eigentlich so klar war.
    Wie viele Male in den letzten Jahren hatte sie sich bitterlich bei jedem, der ihr zuhörte, über die Mütter beschwert, die keinen Anteil an der Krankheit ihrer Kinder nahmen? Oder über die Mütter, die nicht einmal zu den Schulungen erschienen oder die Ohren auf Durchzug stellten, wenn Ella ihnen etwas beibringen wollte! Sie hatte darum gebetet, dass wenigstens eine dieser Mütter zu ihr kommen und sagen würde: “Bitte, zeigen Sie mir, wie ich mich um mein Kind kümmern kann.”
    Ironischerweise war die einzige Frau, die ihr diesen Wunsch erfüllte, auch die Einzige, von der sie sich es nicht gewünscht hatte.
    Ella war Krankenschwester. In der Tat. Und als Krankenschwester war sie dazu verpflichtet, Kindern dabei zu helfen, zu wachsen und sich zu entwickeln.
    Und so musste sie Fannie helfen.
    Ella schloss die Augen und führte ihre innere Zwiesprache zu einem logischen Ende – auch wenn sie dafür ihre eigenen Hoffnungen und Träume begraben musste. Sie würde Fannie beibringen, wie man mit Marion und dem Diabetes umging. Dafür war sie ausgebildet. Es war die richtige Entscheidung. Und doch ahnte sie, dass sie mit dieser Hilfe die Tür für ihren eigenen Abschied öffnete.

21. KAPITEL
    D as Aufräum-Kommando:
Der Geier hat einen denkbar schlechten Ruf. Schon der Ausdruck “Aasgeier”, der oft für das Tier Verwendung findet, hat in der deutschen Sprache eine negative Konnotation. Man denkt an Tod, Verwesung, Niedergang, und auch das Äußere der Tiere unterstützt dieses negative Bild noch. Doch die Arbeit, die die Geier in der Natur leisten, wird unterschätzt: Sie sorgen als so genanntes “Aufräum-Kommando” dafür, dass der Kreislauf des Lebens funktioniert
.
    Die beiden jungen Geier richteten verheerende Schäden an. Sie pickten ein Loch in das Dach des Centers und rupften Stücke der Isolationsschicht heraus. Sie folgten den freiwilligen Helfern, wann immer diese Futter zu den Käfigen und Volieren brachten, und bedrängten sie, bis einer der Helfer nachgab und ihnen etwas zu fressen gab. Und da sie nun gelernt hatten, woher sie ihre nächste Mahlzeit bekamen, hockten sie stets im Schatten einer großen Eiche in der Nähe des Messraumes. Dort saßen sie, Schulter an Schulter, und beobachteten Harris, der gerade mit dem sperrigen schweren Maschendrahtzaun beschäftigt war.
    Harris wusste nicht, was er mit den Tieren anfangen sollte. Sie waren so sehr auf den Menschen fixiert und hatten sich offensichtlich entschieden, unter ihnen zu leben, dass es aussichtslos schien, sie wieder an ihre Artgenossen gewöhnen zu können. Doch er wollte die Hoffnung auf eine Auswilderung noch nicht aufgeben. Er hatte den

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