Dem Himmel entgegen
schwer, aber wahnsinnig unförmig. Und Sie kennen ja sicher das Sprichwort – zwei Hände sind besser als eine.”
“Oder: Timing ist alles, wie meine Tante Rhoda immer zu sagen pflegte”, sagte Ella und umklammerte die Matratze mit sicherem Griff. Sie war kleiner und schmaler als Maggie, aber sie hatte Kraft. “Wo wir gerade von Timing reden, ich wäre dann so weit. Auf drei. Eins, zwei, hepp.”
Die beiden Frauen hoben das Unterbett an und trugen es gemeinsam in das Haus. Der Lattenrost war schon da und lag im Bettgestell. Das Bett nahm fast die gesamte Wand ein. Zusammen brachten sie noch den kleinen Tisch und die zwei Stühle hinein und schlossen die Tür, denn ein kalter, feuchter Wind peitschte eisigen Schneeregen durch die Luft, der auf ihren Wangen brannte.
“Wir sollten den Ofen in Gang bringen”, sagte Maggie und rieb ihre klammen Hände aneinander. “Hier drinnen ist es saukalt.”
Ella lachte. Sie mochte Maggies direkte und stürmische Art sofort. Sie erinnerte sie an ihre Tanten. Während Maggie den Ofen anfeuerte, legte sie einen fröhlichen, hell gemusterten Teppich auf den Boden und hängte schwere dunkelblaue Vorhänge vor die beiden Fenster, die eher die zugigen Ritzen an den Fenstern abdichten sollten, als der Verschönerung des Raumes zu dienen. Draußen heulte der Wind immer stärker, und drinnen wurde es zunehmend wärmer und gemütlicher.
“Lijah wird Ihre Bemühungen sehr zu schätzen wissen”, sagte Maggie. Sie und Ella zogen gerade gemeinsam das Laken auf das Bett. “Es ist nicht seine Art, um etwas für sich selbst zu bitten. Aber er ist der Erste, wenn es darum geht, einem anderen zu helfen. Auf dieser Welt gibt es Nehmende und Gebende, und Lijah gehört zu denen, die geben.”
“Wie ist er denn so? Ich habe ihn schon des Öfteren zum Essen eingeladen, aber er ist bis jetzt noch nicht gekommen. Früchte und Käse oder Sandwiches nimmt er gerne an, doch bisher konnte ich ihn nur mit Kaffee ins Haus locken. Er füllt seine Thermoskanne, bedankt sich überschwänglich und geht dann, ohne auch nur einen Bissen zu sich zu nehmen.”
Maggie lachte leise. Natürlich hatte schon jeder im Center von den “Kochkünsten” Ellas gehört.
“Er scheint ziemlich distanziert zu sein, finden Sie nicht?” fragte Ella und breitete ein weiteres Laken über die Matratze.
“Distanziert?” Maggie beugte sich vor, um ihre Seite des Tuches unter die Matratze zu stecken. “Nein, das ist er nicht. Er redet nur einfach nicht so viel. Außer, er hat wirklich etwas zu sagen. Dann ist er sehr freigebig mit seinem Rat. Lijah nennt sich selbst einen Beobachter, und ich denke, das beschreibt ihn sehr genau.”
“Ein Beobachter? Was soll das bedeuten?”
“Genau das, wonach es klingt. Wenn Sie sich auf dem Klinikgelände bewegen, werden Sie verstehen, was ich meine. Manchmal dreht man sich um und sieht Lijah, der einen beobachtet. Nicht seltsam oder unangenehm, das auf keinen Fall. Er hat diesen friedlichen, freundlichen Blick, so als würde er den Himmel betrachten, und man ist nur zufällig in sein Blickfeld geraten. Ich habe den Eindruck, dass er alles sieht, was hier vorgeht. Eulen sind auch so, wissen Sie? Sie sitzen ruhig in ihrem Baum, drehen ihren Kopf von rechts nach links und nehmen Geräusche und Bewegungen wie ein Radargerät wahr. Vielleicht versteht er sich deshalb so gut mit den Vögeln – sie sind sich ähnlich.”
“Versteht er sich denn gut mit den Tieren?”
“O ja, sie lieben ihn. So etwas habe ich noch nie gesehen. Meistens sind die Vögel unruhig, wenn jemand sich ihnen nähert, vor allem, wenn sie die Person nicht kennen. Aber nicht so bei Lijah. Er kann ihr Revier betreten, ohne dass es sie zu kümmern scheint. Er bewegt sich fast lautlos – damit hat es wohl auch zu tun. Aber ich denke, es steckt mehr dahinter. Als ich ihn deswegen mal gefragt habe, hat er nur gelächelt und die Schultern gezuckt.”
Ella zog das Laken glatt und steckte die Ecken so exakt fest, wie sie es im Krankenhaus gelernt hatte. Dann breitete sie zwei Wolldecken aus. Maggie half mit und lernte schnell. Es ist schön, wieder einmal mit einer Frau zusammenzuarbeiten, dachte Ella. Sie war bei ihren Tanten aufgewachsen, und auch im Krankenhaus hatten die Schwestern oft in den Pausen Probleme besprochen oder sich gegenseitig getröstet. Sie hatte nicht bemerkt, wie sehr ihr der Umgang mit Frauen gefehlt hatte.
Bei Tisch hatte sie versucht, sich mit Harris zu unterhalten. Dieser hatte ihr auch
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