Dem Himmel entgegen
höflich geantwortet, aber er war von Natur aus schweigsam und empfand längere Phasen der Stille als angenehm. Marion verkörperte das genaue Gegenteil. Sie war eine typische, redselige Fünfjährige, die eine Menge zu allem zu sagen hatte. Ella musste nichts tun, als nur zuzuhören, zu nicken und ab und zu “Oh, wirklich?” zu sagen. Also war ein Gespräch von Frau zu Frau – und dabei noch einer, die sie instinktiv mochte – eine willkommene Abwechslung.
“Du warst mal Krankenschwester, stimmt’s?” fragte Maggie.
“Ja, Kinderkrankenschwester. Ich habe in der Notaufnahme gearbeitet und davor auf der Intensivstation.” Sie verstummte plötzlich und rief sich die Geräusche in Erinnerung – das Trappeln der Füße, wenn Ärzte und Schwestern zu einem Patienten rannten, die Anweisungen, die einem staccatoartig zugerufen wurden – und sie glaubte, das Adrenalin zu spüren, das bei einem Notfall durch den Körper schoss. “Manchmal war die Arbeit schon sehr aufreibend.”
“Das glaube ich. In der Vogelklinik geht es gelegentlich auch recht hektisch zu.”
“Ich kann mir vorstellen, dass es kein allzu großer Unterschied ist. Abgesehen davon, dass nicht so viel auf dem Spiel steht.”
“Stimmt. Aber daran denkt man gar nicht, wenn man um das Leben eines Greifvogels kämpft. Dann gibt es keine Unterschiede mehr. Doch wenn die Verletzungen so schwer wiegend sind, dass keine Hoffnung mehr besteht, völlig zu gesunden, schläfern wir den Vogel ein. Das ist besser für das Tier. Es wäre unverantwortlich, den Raubvogel in die Natur zu entlassen, wo er dann leiden muss und schließlich stirbt.”
“Das kann man im Hospital natürlich nicht machen.”
“Nö.” Maggie kicherte. “Obwohl man meinen könnte, in manchen Fällen wäre das Einschläfern die menschlichste Lösung. Also, warum sind Sie jetzt Kindermädchen? Das scheint mir eine merkwürdige Karrierewende zu sein.”
Ella seufzte und stemmte die Hände in die Hüften, während sie über die Antwort nachdachte. “Nicht wirklich. Wissen Sie, ich liebe Kinder”, sagte sie aufrichtig. “Das habe ich schon immer. Deshalb bin ich auch Kinderkrankenschwester geworden. Als ich anfing, war ich der typische naive Idealist. Ich wollte die Welt verbessern. Damals dachte ich, ich könnte etwas verändern, nicht nur im Hinblick auf die medizinische Versorgung, sondern auch im Hinblick auf die Fürsorge und Geduld einem Kind gegenüber, das ängstlich, krank und allein ist.”
“Das klingt nicht übertrieben idealistisch. Das ist es, was viele von uns dazu treibt, sich freiwillig zu engagieren.”
“Ich habe allerdings nicht geahnt, wie schmerzhaft es sein würde zu versagen. Es ist grausam, ein Kind sterben zu sehen.”
Maggie hielt inne. “Das kann ich mir nicht einmal vorstellen.”
“Sie haben mir immer gesagt, dass ich mich daran gewöhnen werde, dass ich mir einen Schutzpanzer zulege. Aber ich habe mich nie daran gewöhnt. Ich habe durchgehalten, Tag für Tag, über zehn Jahre lang. Und ich will nicht prahlen, wenn ich sage, ich war gut in meinem Job. Mir war die Fähigkeit gegeben, mit den Kindern zu kommunizieren, und ihr Geschrei hat mich nicht gestört. Tatsächlich bin ich unendlich geduldig.” Sie lächelte schief. “Manche nennen es Dickköpfigkeit.”
Ihr Gesicht verdüsterte sich, als sie sich an die schwierigen Zeiten der Krankenpflege erinnerte: die psychische Belastung, ja Qual, wenn man zusehen musste, wie Kinder immer und immer wieder in die Notaufnahme kamen, bis der teuflische Kreislauf schließlich sein schlimmes Ende nahm. Oder zu wissen, dass, egal wie sehr man sich auch anstrengte, dieses süße Wesen sterben würde und man nichts, aber auch gar nichts daran ändern konnte.
“Wenn ich so zurückblicke, denke ich, dass ich den ganzen Schmerz verdrängt und in mir getragen habe, bis er eines Tages ausbrach und ich die Situation nicht mehr ertragen konnte. Ich … ich konnte einfach nicht mehr zurück.”
“Entschuldigen Sie, ich wollte nicht neugierig sein.”
“Nein”, erwiderte sie schnell. “Nein, das waren Sie nicht. Es hilft, wenn man die Möglichkeit bekommt, darüber zu sprechen. Jedenfalls”, sagte sie und griff nach dem Kissen, um es in den Bezug zu stecken, “das ist der Grund, warum ich nicht mehr als Kinderkrankenschwester arbeite. Wenigstens für die nächste Zeit.”
“Sie werden irgendwann wieder im Krankenhaus als Schwester arbeiten?”
Ella nickte. “Ich habe Harris gesagt, ich würde für
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