Dem Himmel entgegen
ein Jahr bleiben. In dieser Zeit sollte ich es schaffen, Marions Werte zu stabilisieren und einen Plan zu entwerfen, nach dem die beiden leben können. Ich hoffe, ich kann so lange bleiben. Denn, es klingt merkwürdig, nach all dem, was ich Ihnen gerade erzählt habe, aber manchmal vermisse ich den Adrenalinkick. Ich vermisse die Aufregung. Das Tempo hier ist so gemächlich. Normalerweise bin ich es gewohnt schnell, schnell, schnell zu machen. Entscheidungen zu treffen und Anweisungen zu geben. Von Zeit zu Zeit kann ich wie ein General sein.” Sie schüttelte den Kopf und drückte das Kissen an sich. “Armer Harris. Ich bin sicher, dass es nicht gerade einfach ist, mit mir zusammenzuleben.”
Maggie murmelte: “
So
schlimm können Sie gar nicht sein.”
“Wie bitte?” Ellas Kopf schoss hoch.
“Oh, nichts.”
“Kommen Sie. Ich habe Ihnen auch ganz offen alles erzählt. Verraten Sie mir,
wie
schlimm ich nicht sein kann – um welche Frau geht es?”
“Neugierig sind Sie wohl gar nicht?”
“Nein, gar nicht.”
Als Maggie ungläubig schnaubte, errötete Ella und schüttelte verlegen das Kissen auf. “Okay, vielleicht bin ich ein bisschen neugierig.”
“Und jetzt gerade ein bisschen mehr.”
“Sie können aufhören, die Stirn zu runzeln. Es ist doch ganz normal, sich für denjenigen zu interessieren, mit dem man zusammenlebt. Ich meine, als Nanny. Oh, hören Sie auf”, sagte sie und fiel in Maggies Gelächter ein. “Sie wissen, wie ich das meine.”
Maggie lachte noch immer und legte eine Steppdecke auf die Decken. “Ich mache doch nur Spaß. Die Wahrheit ist, dass ich gar nicht viel über die Frau weiß. Harris ist sehr verschwiegen.”
“Erzählen Sie.”
Maggie lachte wieder herzhaft auf und setzte sich aufs Bett. Ella ließ sich auf einen Stuhl fallen und lehnte sich zurück, ein wenig erschrocken über ihre eigene Neugier.
“Ich habe sie nur ein einziges Mal getroffen”, begann Maggie. “Ich glaube, Fannie, Harris’ Frau, ist um einiges jünger als er. Das Einzige, was er mir gegenüber je geäußert hat, war, dass sie noch nicht bereit war, sich häuslich niederzulassen. Natürlich bezweifle ich, dass Harris jemals ein böses Wort über jemanden verlieren würde – nicht einmal über eine Frau, die ihn und ihr Kind kurz nach der Geburt verlassen hat.”
“Wie schrecklich für die beiden. Arme Marion …”
“Mir wird ganz anders, wenn ich daran denke. Es steckt noch mehr dahinter, da bin ich mir sicher, aber die Einzelheiten liegen im Dunkeln. Harris musste das Kind ganz allein großziehen. Und er hat seine Aufgabe wirklich gut erledigt. Das Vogelcenter war gerade erst eröffnet worden, als Marion auf die Welt kam. Fannie hatte ihm mit den Vögeln geholfen, also hat sie auch das Center im Stich gelassen, wenn man so will. Harris stand nun mit dem neugeborenen Kind und dem frisch eröffneten Center für Greifvögel allein da. Das muss ziemlich kräftezehrend und belastend für ihn gewesen sein. Er musste tagtäglich rund um die Uhr arbeiten”, seufzte sie.
“Und das tut er noch immer. Er ist das Herz und die Seele des Centers. Dieses ganze Projekt ist seine Vision. Damals hat er den Bedarf erkannt, um eine Lizenz gekämpft und hat aus dem Nichts diese Station erbaut. Heute haben wir das Klinikgebäude, die Vogelgehege, und wir vergrößern uns ständig. Doch zu Beginn hielt Harris die Vögel in seinem freien Schlafzimmer.”
“Jetzt verstehe ich die Mäuse im Kühlschrank. Und ich fand auch Federn in den Ecken der Schränke, die ich heute ausgewaschen habe.”
“Gott, das überrascht mich nicht im Geringsten. Es gab eine Zeit, da hatte er mehr Ratten und Mäuse in seinem Kühlschrank als Essen für sich und Marion. Ab und an hat er sogar in der Küche operiert. Direkt auf dem Küchentisch.”
“Tatsächlich?” fragte Ella ungläubig und nahm sich vor, später sofort den Tisch mit Bleichmittel zu schrubben.
“Wir waren alle furchtbar dankbar und erleichtert, als das Klinikgebäude dem Center zugesprochen wurde. Harris und Marion konnten endlich ein eigenes Leben leben, ohne die Vögel. Er errichtete die Käfige dort draußen, das Vogelhaus für unsere Dauerbewohner und den Messraum. Sein nächster Traum ist es, eine große Voliere zu bauen, in der die Tiere auch fliegen können. Er hat so viele Träume. Sie haben bestimmt noch niemanden getroffen, der sich so engagiert und so in seinem Beruf aufgeht.”
“Ein Mann kann auch
zu
engagiert sein”, sagte Ella sanft.
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