Dem Killer auf der Fährte
anderen und schluckte deren Leben wie ein Beruhigungsmittel oder ein Antidrepressivum. Auf gewisse Weise war man sogar geschmeichelt, wenn sie sich das eigene Leben aussuchte. Allerdings war es manchmal schwer, das so zu sehen. Donna hatte nicht viele Freunde.«
»Sie haben doch die Wohnung geteilt.« Ich versuchte, neutral zu klingen, aber Sarah verstand sofort, was ich meinte.
»Frage: Warum würde irgendjemand mit Donna zusammen wohnen? Antwort: Sie hatte die Wohnung. Meine Freundin und ich sind in ein Appartment im Adams House gezogen, und Donna lebte bereits dort. Sie bewohnte eins der drei Zimmer. Und zuerst dachten wir, sie wäre so intelligent und cool.« Sarah lächelte wehmütig und fuhr dann fort: »Sie kam aus New York, trug immer schwarze Klamotten und Make-up und las Kierkegaard. Wir waren schrecklich beeindruckt. Sie hatte damals organische Chemie belegt, weil sie sich in dem Semester erholen wollte. Und das stimmte. Sie war einfach unglaublich intelligent und hat Mathematik- und Chemiekurse belegt, wenn sie keine Lust hatte, besonders viel zu arbeiten. Sie ist bloß hingegangen und hat immer die besten Noten gekriegt, egal wie depressiv sie sich fühlte oder wie durcheinander sie war. Sie war manchmal so fertig, daß ihre Hände zitterten, und sie bekam in den Prüfungen immer noch die besten Noten. Das ist wirklich wahr.«
»Und?«
»Und ihre Coolness war nur das, was wir - zwei High-School-Zöglinge aus einer Kleinstadt im Mittleren Westen - dafür gehalten haben. Und sogar wir haben ziemlich bald begriffen, was mit ihr los war, und dann hat sie uns wirklich angst gemacht. Sie hat zum Beispiel oft Heulkrämpfe und Zitteranfälle gekriegt.
Und sie hat sich ständig in ganz irre, dramatische Liebesgeschichten gestürzt und behauptet, daß alle Männer sie verführen wollten. Teilweise stimmte das wahrscheinlich sogar. Sie war sehr attraktiv, und wenn sie gut drauf war, war sie himmelhoch jauchzend und unwiderstehlich.«
»Und wenn sie nicht gut drauf war?«
»Dann war sie zu Tode betrübt, absolut am Boden zerstört und verzweifelt.«
»War sie mal in einer Therapie?«
»Sie ist zu jemandem beim Psychosozialen Dienst der Universität gegangen. Anne Marie und ich sind einmal bei ihm gewesen. Anne Marie war meine Mitbewohnerin. Die ganze Situation mit Donna war für Anne Marie irgendwie schwieriger als für mich. Sie hat zuerst mit den Leuten im Adams House darüber gesprochen, und dann wollte sie, daß ich mit ihr zu dem Psychiater gehe, um mit ihm zu reden. Aber er schien sich eigentlich nur darüber zu freuen, daß Donna überhaupt irgendwelche Freundinnen hatte. Dabei waren wir ja eigentlich gar keine. Aber im Laufe dieses Jahres ging es Donna ein bißchen besser, und für uns wurde es dadurch auch einfacher. Und außerdem wußten wir, daß es nur noch ein paar Monate dauern würde, bis sie ihren Abschluß machte.«
»Aber Sie sind in Kontakt mit ihr geblieben?«
»Eigentlich nicht. Es war nur, weil wir beide in Cambridge wohnten und uns manchmal über den Weg liefen, und deshalb wußte ich auch, daß sie einen Malamute hatte. Wir haben einmal zusammen Mittag gegessen. Ich mochte sie nicht besonders, aber ich nehme an, sie hat mich neugierig gemacht. Außerdem hatte ich ihretwegen, seit wir mit ihrem Psychiater gesprochen haben, immerein schlechtes Gewissen. Und wenn wir schon Freundinnen für sie waren...«
»Wie ist es ihr da gegangen?«
»Zuerst dachte ich, es ginge ihr besser. Sie hat sogar davon gesprochen, sich einen Job zu suchen.«
»Sonst hat sie nicht gearbeitet?«
»Sie war finanziell unabhängig. Von ihr habe ich diesen Ausdruck erst gelernt. Ich hatte vorher nicht gewußt, daß es so etwas überhaupt gibt. Es war wie ein Titel - Marquise oder Gräfin. Ich wußte zwar theoretisch, daß solche Leute existierten, aber praktisch? Jedenfalls nicht die Leute, die ich kannte. Ich glaube, das Geld war ein Teil von Donnas Problem. Wenn sie jemals für sich selbst hätte sorgen müssen, oder wenn sie gewußt hätte, daß das eines Tages auf sie zukommen würde, hätte sie sich vielleicht am Riemen gerissen. Und als wir uns damals zum Mittagessen trafen, dachte ich schon, sie hätte es langsam geschafft. Aber dann fing sie wieder mit den alten Geschichten an.«
»Welchen Geschichten?«
»Noch so eine Verführungsgeschichte. Nein, diesmal war es keine Verführung, und auch keine Vergewaltigung, sondern sexuelle Nötigung. Und der Typ war diesmal ein Therapeut.«
»Warum sind Sie
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