Dem Killer auf der Fährte
anderer Mensch«, sagte Rita. »Und jeder Mensch hat eine Vergangenheit, eine Geschichte. Und jeder, der eine Geschichte hat, hat etwas, das er auf die neue Beziehung überträgt. Das ist vielleicht ganz unvermeidlich. Allerdings ist es sicher vermeidlich, das auszuleben.«
»Ja, aber hör' mal: Angenommen, dieser Typ, der Therapeut, fängt an, einer seiner Patientinnen zu erzählen...«
Rita unterbrach mich: »Klientinnen.«
»Gut, Klientinnen. Also angenommen, er erzählt ihr, daß er sich ganz wahnsinnig in sie verliebt hätte. Ich meine, wenn das passiert, dann würde vielen Frauen doch klarwerden, daß da mit dem Therapeuten etwas nicht stimmt. Was würdest du tun, wenn dir dein Therapeut sagt, er ist verrückt nach dir?«
»Ich würde zu einer psychologischen Beratung gehen. Und zwar sofort«, antwortete Rita und fügte hinzu: »Zu einem anderen Therapeuten, einem Außenstehenden, der nicht darin verwickelt ist und der beurteilen könnte, was da vor sich geht, und wie man sich verhalten soll.«
»Aber sogar, wenn du das nicht weißt, wenn du dich mit Therapien nicht gut auskennst, müßtest du doch merken, daß da irgendwas faul ist, und daß Therapien eigentlich nicht so laufen sollten. Und das Gegenteil muß ebenfalls stimmen: daß es Frauen gibt, die das eben nicht kapieren. Entweder sie hatten keine Ahnung von Therapie und haben nicht begriffen, wie tabuisiert das ist, oder sie haben sich ebenfalls verliebt oder sich eingeredet, es wäre zu ihrem Besten.«
»Ja.«
»Also war Donna Zalewski die Art Frau, die gewußt hätte, was los ist? Hätte sie so einem Therapeuten gesagt, er soll sich zum Teufel scheren und wäre gegangen? Oder war sie sexuell manipulierbar?«
»Ich hätte geglaubt, sie wäre in einem solchen Fall zu mir zurückgekommen«, sagte Rita.
»Ist sie aber nicht. Und war sie manipulierbar?«
»Es gibt Menschen, deren Grenzen allem gegenüber sehr unklar sind.« Rita stützte beide Ellbogen auf den Tisch. Sie faltete ihre Hände und legte das Kinn darauf. »Für solche Leute sind zwischenmenschliche Beziehungen niemals klar definiert. Und das drückt sich in allen Aspekten ihres Lebens aus. Es gibt keine Grenzen zwischen dem einzelnen und den anderen. Manchmal wird dieses Symptom zum Beispiel in Familien sichtbar, wo alle Kinder jederzeit, und wann immer es ihnen gerade paßt, das Schlafzimmer der Eltern betreten dürfen, wo es keine Schlösser an der Badezimmer- und Klotür gibt. Und so ähnlich ist es dort mit dem Verhältnis der Individuen zueinander: Es gibt auch darin keine Türen, Schlösser, Wände und Grenzen. Weißt du, ich dachte immer, das sei eine von Joels besonderen Qualitäten als Therapeut, die Fähigkeit, die Grenzen sehr klar zu bestimmen, was ja auch der Grund ist, warum sich die Leute bei so jemandem sicher fühlen.«
»Für dich klingt das vielleicht blöde, aber auf gewisse Weise ist das genau das, was Elaine bei Kimi nicht getan hat.«
»Wir führen hier ein ernsthaftes Gespräch«, wies Rita mich zurecht.
»Nein, wirklich, da gab es keine Grenze zwischen Halterin und Hund. Als ich zum ersten Mal bei ihr war, hat Elaine einen Krug Milch auf den Tisch gestellt und ist einfach dagestanden und hat zugesehen, wie Kimi ihn ausschleckte. Und so etwas macht einen Hund äußerst nervös. Sie wollen genau wissen, wer wer ist, und was die Regeln sind. Sie wollen wissen, wo ihr Platz im Rudel ist, und was sie sich erlauben und nicht erlauben dürfen. Nur dann sind sie zufrieden, und wenn das nicht so ist, verstehen sie die Welt nicht mehr und versuchen die ganze Zeit, irgendeine Form von Ordnung herzustellen.«
»Ich habe Donna nicht zu Elaine Walsh geschickt«, fuhr Rita fort. »Es gibt wesentlich schlechtere Psychologen als Elaine, aber sie hatte diese Tendenz, ihren Theorien den Vorrang vor ihrer Urteilskraft zu geben.«
»So wie diese Theorie, daß die Ehe Sklaverei sei. Also hat für sie die Ehe der Mosses einfach nicht existiert. Und damit haben auch die Grenzen nicht existiert. Aber das war so, als hätte auch Sheila Moss nicht existiert, oder als hätten ihre Gefühle nicht gezählt. Aber Elaine war offensichtlich stinkwütend auf Joel Baker. Dieses Tabu war also scheinbar eine Regel, die sie sehr wohl beachtet hat. Sie wollte ihn anzeigen.«
»Das hätte sein ganzes Leben ruiniert. Und es gab eigentlich gar nichts, was er dagegen hätte tun können.«
»Und wenn er unschuldig war?«
»Wie hätte er das beweisen sollen? Da hätte ganz einfach Donnas Wort
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