Dem Killer auf der Fährte
auf, aber Kimi schnüffelte immer noch heftig herum. Sie überprüfte Kellys Hände, leckte sie und nahm für den Fall, daß Rowdy ein Stückchen Leber fallengelassen hatte, eine gründliche Untersuchung des Bodens vor. Ihre Suche verlief allerdings ergebnislos. Dann hob sie ihren schönen Kopf und entdeckte einen neuen, faszinierenden Duft. Wie Rita schon gesagt hatte, Hunde riechen es immer. Kimis Nüstern bebten und ihr Gesicht nahm diesen ganz verzückten Ausdruck an, der mich jedesmal an ein Bild in diesem Kinderbuch erinnert, wo Ferdinand der Stier den Duft der Blumen genießt. Rote Blumen. Das wiederum ließ mich an eines der Bücher denken, die Elaine Walsh mir zum Lesen mitgegeben hatte: ein ganzes Buch über das Thema Menstruation. Ich hatte Elaine darauf gesagt, daß ich es mir einmal anschauen wolle, gleich nachdem ich die drei- oder viertausend Bücher, die es über Hunde gibt, alles, was jemals über die Celtics geschrieben wurde, und dann noch jedes Buch mit einer guten Handlung gelesen hätte.
Aber offensichtlich hatte ich noch nicht einmal die Hundebücher, die ich bereits gelesen hatte, verarbeitet, denn in diesem Moment reagierte ich einfach nicht schnell genug, und so preßte Kimi ihre Schnauze in den Schritt meiner Hose. Elaine hätte mir vermutlich einen Vortrag darüber gehalten, wie idiotisch meine Verlegenheit sei. Aber Elaine war nun nicht mehr da.
»Sch! Fort!« sagte ich ruhig zu Kimi und zog an ihrer Leine, dann kam mir Kelly zu Hilfe.
»Kimi!« rief sie in einem Ton, von dem sie genau wußte, daß er die Aufmerksamkeit der Hündin auf sie lenken würde, und Kimi drehte sich auch prompt nach ihr um. Aber dann wurde sie von etwas anderem abgelenkt, einem neuen Geruch.
Nein. Nicht ganz. Sie wandte ihren Kopf wieder zu mir zurück, schnupperte, und dann schoß sie plötzlich pfeilschnell auf Joel zu und preßte ihre Nase in seinen Schritt. Es war, als hätte sie wie ein vorwitziges Kind lauthals verkündet: »Aha, du auch!« Ich zog heftiger an der Leine, als es der American Kennel Club gerne auf einer Hundeschau gesehen hätte.
»Na, herzlichen Glückwunsch jedenfalls für Tuck«, rief ich, und meine Stimme klang gekünstelt. »Wir müssen jetzt los. Nett, daß wir uns getroffen haben.«
Was hätte ich denn auch sagen sollen? Etwa all das, was mir plötzlich durch den Kopf ging? Das konnte ich nicht. Selbst wenn Kimi Englisch gesprochen hätte, hätte sie mir nicht klarer und deutlicher sagen können, daß auch Joel seine Periode hatte. Sie glauben mir nicht? Ein Mensch hat ungefähr fünf Millionen Geruchsnervenzellen. Ein Hund hat zweihundert Millionen davon, und sie sind wesentlich empfindlicher als unsere. Außerdem verarbeitet ein Hund Geruchsinformationen besser als wir, weil der dafür zuständige Teil des Gehirns beim Hund besser ausgebildet ist als beim Menschen. Alles in allem funktioniert die Hundenase ungefähr eine Million mal besser als das menschliche Riechorgan. Und zu all dem kommt hinzu, daß ich einfach verstehe, was sie mir sagen, wenn meine Hunde mir eine ihrer Beobachtungen mitteilen. Sie glauben mir immer noch nicht? Egal. Nachdem Kimi es also gesagt hatte, war mir auf einmal völlig klar, was mit Joel los war, und alles an ihm bekam die richtige Bedeutung: sein hübsches Aussehen, seine Statur, seine Kleidung - Anzüge, Krawatten, Überzieher, Herrenschuhe, nichts Androgynes und nichts, was vielleicht auch eine Frau tragen würde. Er mußte sich so kleiden wie ein Mann, weil es genau das ist, was er nicht war.
Diese erschütternde Erkenntnis versetzte mich zunächst in einen Zustand vollständiger Verwirrtheit, den Rita später als einen typischen Fall von Dissoziation bezeichnete. Ich erinnere mich, wie ich laut zu mir sagte: »Also gut, er hat seine Periode, und ich habe meine.« Woran ich mich als nächstes erinnere, ist, daß ich an einem Stand haltmachte, um einen hellroten Verbindungshaken für die beiden Hundeleinen zu kaufen, so daß ich Rowdy und Kimi an einer Leine führen und vielleicht - eines Tages - als Turnierpaar präsentieren konnte. Das war ja noch ein vernünftiger, wenn auch vielleicht etwas optimistischer Kauf, aber dann erstand ich außerdem eine Flasche Goldbronzetönungs-Shampoo für meine ganz und gar nicht bronzefarbenen Lieblinge, einen großen Beutel Katzenstreu, ein Buch über Hundedressur, das ich bereits besaß, und ein T-Shirt mit der Aufschrift »Liebe ist eine Dänische Dogge.« An einem Süßwarenstand kaufte ich mir eine
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