Dem Killer auf der Fährte
er wollte nichts über Joel wissen, sondern fragte mich nur, was denn das Problem sei. Seine Stimme war weich und angenehm und so gewinnend, daß ich ihn beinahe dazu ermuntert hätte, mehr Selbstvertrauen an den Tag zu legen und seine Veterinärprüfung zu machen, aber dann erinnerte ich mich noch rechtzeitig an den Grund meines Besuchs.
»Seit dem Tod meiner Mutter geht es mir nicht besonders«, erklärte ich ihm. »Und nachdem kurz darauf auch mein Hund gestorben ist, fühle ich mich ganz niedergeschlagen und unruhig. Und ich schlafe auch sehr schlecht.« Ich vermisse meine Mutter tatsächlich, und Vinnie vermisse ich auch.
Er neigte den Kopf zur Seite, schnalzte mit der Zunge und nickte.
»Na gut, dann lassen Sie uns mal sehen, was mit Ihnen los ist.« Obwohl ich aus Ritas Erzählungen den Eindruck gewonnen hatte, seine einzige Tätigkeit als Arzt bestünde im Ausschreiben von Rezepten, schien er qualifiziert genug zu sein, um meinen Blutdruck zu messen. Er sagte, er sei niedrig, versicherte mir aber gleichzeitig, daß das nichts Schlechtes sei. Mein Puls war normal, meine Lungen kräftig und mein Herz gesund. Mein Problem sei nicht organisch, diagnostizierte er, sondern es sei der Streß.
»Streß?« wiederholte ich.
»Ziehen Sie sich wieder an, und dann reden wir noch ein wenig darüber.«
Erst als ich den blauen Papierkittel aus- und meine Kleider wieder angezogen hatte, wurde mir klar, daß es auf gewisse Weise genau das war, was ihn gefährlich machte. Ich hatte einen eiskalten Pillendealer oder eine Art Scharlatan erwartet, der eine oberflächliche medizinische Untersuchung machen würde, um als Arzt die Form zu wahren, und stand nun einem liebenswerten Mann gegenüber, der den Leuten nur dabei helfen wollte, daß es ihnen besser ging.
Als wir uns wieder an seinem Schreibtisch gegenübersaßen, fragte er mich, ob ich schon einmal Valium genommen hätte, und ich antwortete, daß ich mich davon nur noch niedergeschlagener gefühlt hätte. Vielleicht hatte er noch nie von Prozac gehört. Seine Praxis entsprach nicht gerade dem letzten Schrei auf diesem Gebiet, und er selbst machte auch nicht den Eindruck eines Modearztes. Er stellte ein Rezept für eine große Packung Sinequan aus.
Als ich wieder in das Wartezimmer trat, forderte mich die nasale Stimme auf, Dr. Arsenaults Behandlung bar zu bezahlen. Vielleicht hatte man ja die Erfahrung gemacht, daß die Patienten, nachdem sie einmal damit angefangen hatten, ihre Pillen zu schlucken, so euphorisch und entspannt wurden, daß sie das Bezahlen der Arztrechnungen völlig vergaßen. Die Gebühr war genau dreimal so hoch wie die meiner Frauenärztin, welche immerhin eine Miete in der Bostoner Innenstadtbezahlen muß. Vielleicht wußte Dr. Arsenault ganz genau, was er da tat. Vielleicht auch nicht. Wie auch immer, ich hatte den Verdacht, daß das den meisten seiner Patienten - und ganz besonders Joel Baker -ziemlich gleichgültig war.
»Was zum Teufel ist das? Rita hielt mir das Rezeptformular vor die Nase. Es gehörte wohl einfach zu ihrem Job, alles zu bemerken. Ich hatte das verdammte Ding auf dem Küchentisch liegenlassen. Rita fuhr wütend fort: »Ich weiß nicht, warum ich so blöd war, dir überhaupt den Namen von diesem Scheißtyp zu sagen. Sind die Hunde jetzt plötzlich doch nicht mehr ganz so therapeutisch für dich, wie du immer dachtest? Und warum bist du nicht zu mir gekommen und hast mich um Rat gefragt?«
Rowdy und Kimi, die davon ausgehen, daß alles, was über ihren Köpfen in der Luft geschlenkert wurde, augenblicklich geschnappt und geschluckt werden muß, umkreisten Rita wie pelzige, graue Haie, kurz vor dem entscheidenden Angriff.
»Du solltest entweder damit aufhören oder ihnen etwas zu fressen geben«, empfahl ich ihr, aber sie ignorierte mich. »Und außerdem ist er gar nicht so ein Monster.«
»Du mußt ja nicht seinen Dreck wegmachen. Ich habe mindestens drei Patienten behandelt, die durch ihn valiumabhängig geworden sind. Weißt du, was er denen gesagt hat? Er meinte, es wäre so eine Art Urlaub. Das ist einer von seinen Lieblingssprüchen, nach dem Motto >Sie brauchen eine Woche in der Karibik, und Valium ist das, was dem am Nächsten kommt.< Und er hat sie auch nie darauf hingewiesen, daß sie es nur nehmen sollten, wenn sie es brauchen. Oh nein, er hat ihnen gesagt, sie sollten jeden Morgen eine Tablette nehmen.«
»Er ist aber ganz nett«, meinte ich. »Rowdy, Sitz!« Er reagierte prompt und setzte sich auf den
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