Dem Killer auf der Fährte
einschließlich der Krümel verdrückt hatte, warum hat mir dann die großzügige Kelly, die immer so gern für andere kochte, nur zwei oder drei davon gegeben? Weil sie sichergehen wollte, daß ich keine Reste und somit keine Spuren hinterlassen würde?
Aber vielleicht war es ja gar nicht Kelly gewesen. Ich sah die ordentlichen Listen an den Türen des riesigen Kühlschranks und der Gefriertruhe vor mir. Als Kelly dann vor einer Woche das Päckchen in das Gefrierfach gepackt hat, hat sie es möglicherweise mit meinem Namen versehen und wahrscheinlich auch auf der Inventarliste verzeichnet. Eine Portion Petits Pains au Chocolat . Jetzt fiel mir ihre richtige Bezeichnung wieder ein - ich spreche ein wenig Französisch, aber möglichst nicht laut -, und so hätte sie es auch in die Liste an der Tür eingetragen. Joel konnte das bemerkt haben, oder vielleicht hat er auch das Päckchen mit meinem Namen drauf gesehen. Als ich ihn das letzte Mal besuchte, hatte er nicht die Zeit, das Gebäck zu präparieren, er hätte es also im voraus planen müssen.
Aber dann war es schließlich Kelly gewesen, die mich wegen der Schokolade gewarnt und darauf hingewiesen hatte, daß ich sie nicht in Reichweite der Hunde liegenlassen dürfe. Kelly liebte Hunde, und sie wäre niemals imstande gewesen, einem Hund auch nur ein Haar zu krümmen. Joel allerdings auch nicht. Und beide kannten mich gut genug, um zu wissen, daß ich meinen Hunden unter keinen Umständen die Schokolade gegeben hätte.
Kelly war eine Köchin. Sie hatte etwas mit Schokolade für mich gebacken. Mit anderen Worten: Sie hat etwas ausgesucht, was ich niemals meinen Hunden zum Fressen geben würde. Aber vielleicht hatte sie nur daran gedacht, daß ich diese Petits Pains so gerne mochte und hat das Joel gegenüber erwähnt. Ich hatte nicht übel Lust, einen von den beiden umzubringen. Oder alle beide? Oder doch nur einen? Aber möglichst nicht den Falschen.
Ich wollte mit Steve darüber reden, aber er hörte nicht zu. Statt dessen bestand er darauf, Rowdy nochmals gründlich zu untersuchen, und es gelang ihm sogar, mich dazu zu überreden, wegen meiner Hand einen Notarzt in der Mount Auburn-Klinik aufzusuchen, obwohl mir dieser Ort verhaßt ist.
»Es fühlt sich aber schon viel besser an«, protestierte ich.
»Du lügst ja. Das Blut sickert durch den Verband.«
»Ich kann Krankenhäuser nicht ausstehen.«
»Sie werden dich sicher nicht über Nacht dabehalten.«
»Natürlich nicht. Weil ich nämlich nicht dableiben würde, falls sie es versuchen.«
»Sie werden nur die Wunde nähen.«
»Das ist nicht nötig.«
Ganz beiläufig sagte er dann: »Wenn natürlich eine Sehne oder so was in Mitleidenschaft gezogen wurde, könnte es sein, daß du diese Hand nicht mehr benutzen kannst.« Dabei sah er Rowdy an und streichelte seinen Kopf. »Vielleicht für immer. Wenn es sich entzündet, merkst du das daran, daß die Hand anschwillt. Und dann kannst du sie wahrscheinlich ein paar Monate lang nicht gebrauchen. Und bei der leisesten Berührung tut es tierisch weh.« Er massierte weiterhin mit beiden Händen Rowdys Kopf.
»Okay, ich verstehe, was du meinst.« Jeder, der auch nur ein einziges Mal zwei Malamutes an der Leine geführt hat, hätte diesen Wink mit dem Zaunpfahl kapiert.
»Du mußt natürlich nicht gehen«, setzte er noch hinzu. »Niemand zwingt dich. Es ist allein deine Entscheidung.«
Wer die verschiedensten Erscheinungsformen von Liebe und Angst studieren möchte, sollte die Notaufnahme einer Tierklinik aufsuchen. Dort sieht man, wie die Besitzer ihre Katzen und Hunde halten, sie streicheln und ohne Unterlaß murmelnd und tröstend auf sie einreden. Und man sieht Leute allein auf einer der Holzbänke sitzen, die sich nicht schämen, die Tränen über das Gesicht laufen zu lassen.
Wohingegen die meisten Patienten, die in der Ambulanzstation der Mount Auburn-Klinik saßen und warteten, abgegriffene Zeitschriften durchblätterten, mit halbgeschlossenen Lidern vor sich hin dösten oder einfach nur teilnahmslos auf den Boden starrend dasaßen. Es war schwer, die Patienten von den begleitenden Freunden oder Angehörigen zu unterscheiden. Lediglich ein junges Paar kümmerte sich rührend um ein kleines Mädchen, mit dem sie abwechselnd sprachen und ihr besorgt die Stirn befühlten, während alle anderen ebensogut völlig Fremde hätten sein können, die sich zufällig in der gleichen überfüllten Straßenbahn befanden. Eine Situation, die wieder einmal
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