Dem Killer auf der Fährte
anschaulich beweist, daß sich die meisten Menschen mehr um ihre Haustiere als um sich selbst oder ihre Mitmenschen sorgen.
Aber ich war nicht deprimiert. Während ich auf einem harten Holzstuhl saß, hielt ich meine unverletzte Hand zu einer Faust geballt und biß entschlossen die Zähne zusammen. Immer wieder sah ich zu dem Münzfernsprecher am Ende des Korridors. Da ich stark blutete - es tropfte immer noch durch den Verband -, würde ich sicher bald an die Reihe kommen, und ich versuchte, mir auszurechnen, ob ich noch die Zeit für einen Anruf hatte. Ich stand langsam auf. Dann beschloß ich, daß ich bei diesem Telefonat nicht unterbrochen werden und auch meinen Aufruf nicht verpassen wollte. Also setzte ich mich wieder hin.
Als ich schließlich aufgerufen wurde, fing der Arzt damit an, mir ein paar unverschämte Fragen über meinen Hund zu stellen und wollte es einfach nicht glauben, daß der Biß nicht Kimis Schuld gewesen war. Er nannte meine prächtige Alaskan-Malamute-Hündin hartnäckig »Ihr Husky«, erzählte mir von seiner Hundeallergie und hatte noch nie davon gehört, daß ein Hundebiß wesentlich seltener eine Entzündung zur Folge hat als der Biß einer Katze. Ich war froh, daß er erst gar nicht versucht hatte, Tierarzt zu werden. Trotzdem erlaubte ich ihm, meine Verletzung zu nähen. Als er endlich damit fertig war, meine Hand zu bandagieren und meine Ohren mit seinem Anti-Hunde-Geschwätz vollzuplappern, konnte ich es kaum erwarten, diesen Ort zu verlassen, aber vorher machte ich doch noch am Telefon halt.
Dank Rita bin ich Expertin, wenn es darum geht, einen Psychotherapeuten anzurufen. Ich sagte ja bereits, daß man tagsüber fünf oder zehn Minuten vor der vollen Stunde anrufen muß, wenn die Therapeuten zwischen zwei Klienten eine Pause haben. Zu jeder anderen Tageszeit ist damit zu rechnen, daß man mit dem Anrufbeantworter verbunden wird, aber das ist kein Grund, aufzugeben: Man sollte in jedem Fall eine Nachricht hinterlassen, denn Therapeuten hören ihren Anrufbeantworter regelmäßig ab. Sie wollen sich zwar nicht alle paar Minuten stören lassen, und sie halten es auch für ziemlich neurotisch, Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen, für den Fall, daß einer ihrer Klienten um drei Uhr morgens einen bedeutsamen Traum hatte, allerdings wollen sie auch keine wirklichen Notfälle verpassen. Rita überprüft ständig ihren Anrufbeantworter, um sicherzugehen, daß niemand ihrer Klienten gerade in akuten Schwierigkeiten ist. Und Joel tat wahrscheinlich dasselbe.
Zuerst rief ich bei der Auskunft an und erhielt zwei Telefonnummern für Joel Baker, aber keine für Kelly. Heißt das, wenn eine Frau eine andere heiratet, hat sie keinen Anspruch mehr auf einen eigenen Telefonanschluß? Jedenfalls erreichte ich unter der ersten Nummer natürlich nur den Anrufbeantworter, und Joels Stimme informierte mich, daß ich in einem Notfall die andere Nummer wählen solle. Das tat ich. Ich hatte erwartet, daß Kelly zumindest den zweiten Anrufbeantworter besprochen hätte, aber dem war nicht so. Außerdem gibt es ein paar wirklich fanatische Hundebesitzer (und Frauen, die dahinter gekommen sind, wie man perversen Anrufern den Spaß verderben kann), die ihre eigenen Stimmen mit einem Chor von bellenden und knurrenden Hunden untermalen, aber auch auf diesem Band war nur Joels Stimme zu hören. Er nannte seinen Namen und bat, nach dem Pfeifton eine beliebig lange Nachricht zu hinterlassen.
Ich holte tief Luft und sagte dann: »Hier ist Holly Winter. Ich habe an den Schokoladencroissants nicht viel Freude gehabt.« Ich legte eine Pause ein. »Eigentlich habe ich sie nicht einmal probiert. Meine Hunde haben sich das Paket geschnappt. Nach einer Weile sind sie eingeschlafen, und ich konnte sie nicht mehr wachkriegen.«
Dann legte ich auf. Laß sie leiden! Oder ihn? Beide liebten Hunde, und sie kannten Rowdy und Kimi. Kelly oder Joel, einem von beiden würde es sicher schlechter gehen bei dem Gedanken, zwei Hunde getötet zu haben, als zwei Menschen.
Während ich in meinem Wagen durch die engen Straßen zurück zu Steves Haus fuhr, überlegte ich, ob ich Kevin Dennehy anrufen sollte. Das einzige, was mich davon abhielt, war der Gedanke daran, was Joel bereits durchgemacht haben mußte. Donna Zalewski und Elaine Walsh hatten ihn beide einer Tat bezichtigt, die er nicht begangen hatte. Und die einzige Möglichkeit, sich gegen diese Anschuldigung zu wehren, hätte bedeutet, sein Geheimnis preisgeben zu müssen,
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