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Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)

Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)

Titel: Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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hin. Sein dogmatisches Verhalten akzeptiert sie ohne Widerspruch. Auch die Schwestern fügen sich.
    Als Kind hat Andreas oft das Gefühl, so sagt er, dass er irgendwie nicht dazugehöre. Besonders dann, wenn der Vater wieder einen dieser »Anfälle« bekommt, einen dieser plötzlichen Ausbrüche von Jähzorn, von dem die Familie nicht weiß, woraus er entsteht; dann versteigt sich Andreas in die Phantasie, adoptiert worden zu sein, nur um nichts mit dem Despoten gemein zu haben. Und Zeugen behaupten, der Junge habe schon im Alter von ungefähr zehn Jahren einmal im Beisein seiner Mutter geäußert, er werde irgendwann noch einmal »ausrasten« und dann dem Vater etwas antun.
    Der Vater traktiert die Familie mit seltsamen Vorschriften. Jeden Mittwoch muss es das gleiche Essen geben: Salat mit Brottrunk. Süßigkeiten sind nicht erlaubt, Computerspiele auch nicht. Dafür zwingt er seinen Sohn zweimal die Woche ins Fitness-Studio. Andreas’ Anwalt wird im Prozess von »Regeln, Verboten und Demütigungen« sprechen, und dass es ab und zu einen »durchgebrochenen Kochlöffel« gegeben habe.
    Der Vater trainiert viel, ist fit, die Familienmitglieder müssen es ihm gleichtun. Im Urlaub wird gewandert; oft weite Strecken, manchmal bis zur absoluten Erschöpfung. Als Andreas noch ein Kind ist, überqueren sie zu Fuß die Alpen. Und auch an den Wochenenden werden stramme Märsche unternommen. Jedes Familienmitglied darf dabei angeblich nur eine Flasche Wasser und einen Apfel mitnehmen. Als die Mutter einmal zusammenbricht, herrscht Hansjürgen H. sie an: »Aufstehen jetzt, weiter geht's.« Andreas’ Tante, eine Schwester von Hansjürgen H., erzählt später vor Gericht, wie der Vater in ihrem Beisein die 14-jährige Ann-Christin an den Haaren über den Tisch gezogen habe.
    Der Vater hat zwei Gesichter. Innerhalb der Familie ist er der Despot, nach außen hin gibt er das ehrbare, fromme Familienoberhaupt. Aber Hansjürgen H. hat eine bewegte Vergangenheit.
    Vor Gericht wird einer der Verteidiger eine Zeugin fragen, ob sie wisse, welcher Tätigkeit Hansjürgen H. nachging, ehe er Heilpraktiker wurde. Die Zeugin weiß es, doch sie druckst ein wenig herum. Der frühere Beruf des Vaters will nicht so recht zu der »Vorzeigefamilie« passen. »Porno-Hansi« nannte man Hansjürgen H. in Geislingen. Der Vorsitzende Richter unterbindet das Thema. Aus »Pietätsgründen«. Vor Gericht soll nicht thematisiert werden, dass Hansjürgen H., gelernter Bankkaufmann, Inhaber eines Sexshops in Geislingen gewesen ist, bevor er in Eislingen den Ehrenmann und ehrbaren Familienvater gab.
    Die Schwestern sind der Stolz des Vaters. Ann-Christin und die zwei Jahre ältere Annemarie schaffen das Abitur mit Leichtigkeit – etwas das ihrem Bruder nicht gelingt. Danach beginnen beide ein Studium; genau wie ihre Mutter wollen sie Lehrerin werden. Doch auch der jüngere Bruder Andreas scheint nach einigen Anlaufschwierigkeiten seinen Weg zu finden. Nach dem Abschluss der Realschule besucht er das Wirtschaftsgymnasium. Nach außen hin ist alles wunderbar und nur wenige bemerken, dass die heile Welt eine Theaterkulisse ist. Ein Nachbar, der sich öfters mit Andreas beschäftigt, sagt später, er habe in dem Kind einen »unsicheren, introvertierten Jungen« gesehen, und auch die Pfarrerin der evangelischen-lutherischen Gemeinde deutet Konflikte in der Familie an und ergänzt, dass die beiden Schwestern den Bruder des Öfteren vor dem Vater in Schutz nehmen mussten. In einer Fernsehsendung nach der Tat sagt sie: »Ich bin mir sicher, dass die ganze Familie unter der Dominanz des Vaters litt.« Später will sie sich zu dem Thema nicht mehr äußern, sie hat anonyme Anrufe und Drohungen bekommen, von Verleumdung der Opfer ist die Rede.
    Ein älterer Halbbruder Frederiks und seine Frau halten Andreas gar für einen »Schauspieler«. Beide haben Psychologie studiert und praktizieren. Sie befinden, der Junge habe außergewöhnlich glatt gewirkt, nur darauf geachtet, »was gut ankommt«.
    Persönliche Erinnerungen sind keine objektive Angelegenheit. Bei jedem Fall gibt es Zeugen, die den Täter immer »nett« fanden und auch solche, denen »etwas« aufgefallen ist, die es dem Verdächtigen schon lange vorher angemerkt haben wollen, dass da etwas nicht stimmt. Vater und Sohn sind sich wohl ähnlicher, als sie es wahrhaben wollen. Manche Menschen sind angetan von ihrem Charme und ihrer Eloquenz, andere finden das Verhalten beider aufgesetzt, zu glatt, immer

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