Dem Leben Sinn geben
gefühlte Zusammenstimmen eines materiellen Dings mit seinem ideellen Gegenstück. Ein Ring kann die Idee der Liebe symbolisieren, ebenso ein Blumenstrauß, wenngleich nicht zu häufig, sonst bedeutet er nichts mehr, und nicht zu groß, denn: »Je größer der Blumenstrauß, desto schlechter das Gewissen!« Auch zu teuer dürfen die symbolischen Dinge nicht sein, damit beim Beschenkten nicht der Verdacht aufkommt, seine Liebe solle gekauft werden; zu billig auch nicht, damit nicht der Eindruck entsteht, nichts wert zu sein. Der ideelle Wert eines Dings kann von seinem materiellen Wert sehr weit entfernt sein, nach beiden Seiten hin: Der Ring kann teuer gewesen sein und ideell dennoch nichts bedeuten; weder dem Ring noch dem Schenkenden wird dann Liebe zuteil. Der Blumenstrauß wiederum kann leicht erschwinglich sein und die schwer wiegende ideelle Aufmerksamkeit dennoch gut vermitteln; ihm und dem Schenkenden wird eine innige Liebe zuteil, jedenfalls jetzt. Kommt es niezu einer Symbolisierung in Dingen, nur zu wohlfeilen ideellen Verlautbarungen (»Du weißt doch, dass ich dich liebe!«), ist das Urteil bald gefällt: »Du liebst mich nicht mehr!«
Materielle Dinge stellen dar, was Menschen sich ideell ersehnen. Das gilt auch für die Idee der Gerechtigkeit . Zwar kann sie, wie jedes ideelle Ding, immateriell ganz für sich existieren und Gegenstand einer Zuwendung und Zuneigung sein: Ein Mensch findet Gerechtigkeit gut und will auch etwas dafür tun. Mit der bloßen Idee ist jedoch noch niemandem geholfen. Die Idee der Gerechtigkeit umfasst beispielsweise gleiche Bildungschancen für alle, aber in Wirklichkeit bedarf es dafür materieller Mittel, sonst bleiben die Chancen rein theoretisch: Ideelle und materielle Chancengleichheit sind zwei verschiedene Dinge.
Ein ideelles Ding ist auch die Idee der Freiheit , die Menschen zu unglaublichen Dingen antreibt, als bloße Idee jedoch im Raum der Möglichkeiten verbleibt. Die Verwirklichung gelingt mit einer Materialisierung, unter Bedingungen modernen Wohlstands etwa in Form eines Autos, das die Freiheit der Mobilität erfahrbar macht. Die materielle Wirklichkeit wird allerdings bald zur Selbstverständlichkeit, sodass erneut etwas Ideelles hinzukommen muss: Das Auto muss »schön« sein, damit es einem Menschen wieder etwas bedeutet. Also wird das Blech neu geformt und mit neuer Farbe lackiert, Werbefilme regen das Spiel der Ideen wieder an und führen vor Augen, wie schön das Leben mit diesem Ding sein kann, welche Ziele mit ihm erreichbar sind, welche Eroberungen sich damit machen lassen.
Mit materiellen Dingen können ideelle Vorstellungen von Glück, Sinn und Fülle des Lebens verwirklicht werden. Die Ideen davon, die Hoffnungen darauf, die Sehnsüchte danachbringen wiederum materielle Dinge hervor. Aber ideelle und materielle Dinge befinden sich nicht auf der gleichen Ebene, sie repräsentieren vielmehr die ontologische Differenz der Seinsweisen von Möglichkeit und Wirklichkeit. Einige Schwierigkeiten resultieren daraus, mit Enttäuschungen ist fest zu rechnen: Ideell , also in Ideen, Gedanken, Phantasien, ist alles möglich, materiell aber nicht. Schon Platon war begeistert vom unerschöpflichen Reichtum, von der Unendlichkeit und Ewigkeit der Welt der Ideen. Einen Eindruck davon vermittelt die Beschäftigung mit Werken des Geistes, erst recht die eigene Arbeit daran. Aber nicht alles, was möglich ist, kann wirklich werden, nicht jetzt, und was wirklich wird, ist von diesem Zeitpunkt an vergänglich. In Gedanken können Menschen sich alles Mögliche vorstellen und diese Vorstellungen können ewig Vorstellungen bleiben, ihre materielle Verwirklichung aber ist den Bedingungen der Zeit , der Endlichkeit und Vergänglichkeit unterworfen. In Ideen kann das Denken unendlich viele Möglichkeiten durchspielen, eine verinnerlichte und enorm beschleunigte Evolution, denn Gedanken sind neuronale Variationen und Mutationen, die ständig von selbst geschehen und willentlich neu entworfen werden. In der Konfrontation mit der bestehenden Wirklichkeit aber kommt es zur Selektion, bei der vieles verworfen wird.
Jede Idee, die wirksam werden soll, muss die ontologische Ebene wechseln, um von der Möglichkeit zur Wirklichkeit zu gelangen. Ideen tendieren dazu nicht unbedingt von selbst, der Übergang muss oft erst mühsam mit Entscheidung und Anstrengung, Arbeit und Übung bewerkstelligt werden; bei manchen Dingen hilft es, die Entscheidungsträger zu beeinflussen. In der
Weitere Kostenlose Bücher