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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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wird, steht dabei in Frage. Mit Bedeutung wird das nackte »Ding an sich« eingekleidet, das dann beispielsweise schön erscheint: » Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet« (Christian Morgenstern, Stufen , 1918, 58). Auch wenn diese Schönheit nicht unbedingt im Herzen der Dinge liegt, sondern wohl eher im Herzen des Menschen, der in sie hineinlegt, was er aus ihnen herausliest, kann dann der wahre Romantiker weiterhin darauf beharren, dass die Dinge nicht schön erscheinen , sondern es tatsächlich sind , und bedauern, dass ein Pragmatiker das nicht so sieht, notorisch ignorant, wie er ist, zu seinem eigenen Nachteil: Kann es ein Leben ohne schöne Dinge überhaupt geben?
    Natürlich ist es unmöglich, alle Dinge zu lieben, entscheidend ist die Frage, ob wenigstens einige geliebt werden können, um eine Beziehung zu ihnen einzugehen, die ihnen Bedeutung und dem eigenen Leben Sinn gibt. Tragisch ist das Messie-Phänomen , bei dem Menschen unter Bergen von Dingen ersticken, die sie anhäufen, da sie sich nicht von ihnen trennen können; die moderne Funktionalität ist ihnen fremd. Rührend wirkt die Objektophilie , die manche entwickeln, um die entleerte, funktionale Beziehung zu Dingen wieder mit Liebe zu erfüllen: Leidenschaftlich begeistern sie sich für Briefmarken, Spielzeugeisenbahnen, Zigarrenbauchbinden, Spucktüten aus Flugzeugen, Sandproben aus aller Welt und vieles mehr. Wenigstens zu ausgewählten Dingen, die »die Welt« für sie sind, wollen sie nicht bloß funktionale, gleichgültige, beliebige Beziehungen unterhalten. Wieder Andere schärfen ihren Blick für echte Dinge , die nicht industriell, sondern handwerklich hergestellt werden, mit soliden Materialien und mit Liebe zum Detail, teurer zu erstehen, aber mit einer Haltbarkeit, die sich mit der Zeit bezahlt macht.
    Ein noch weiter reichendes Gegenmodell zu massenhaft produzierten funktionalen Dingen sind Kunstwerke , singuläre Dinge, die ein Künstler mit Hingabe kreiert und ungern aus der Hand gibt; er kann sie nicht teilnahmslos verkaufen, sofern er nicht nur einen Markt bedient. Der Käufer versteht sich nicht als Verbraucher, sondern als Liebhaber, als »Amateur« im Wortsinne, der diese Dinge wertschätzt, sofern er nicht nur Spekulationsgewinne im Sinn hat. In welchem Maße künstlerische Dinge an Wert gewinnen in einer Zeit, in der zu viele gleichgültige Dinge produziert werden, wird kenntlich an den Summen, die nicht etwa nur für berühmte Werke bezahlt werden.
    Eine alltägliche Möglichkeit der Wertschätzung einzelner Dinge ist beispielsweise die Liebe zum Fahrrad , zu diesem merkwürdigen Gestell, bestehend aus einer Brücke auf zwei Rädern, auf der ein Mensch thront; kein anderes Wesen hat je so etwas ersonnen. Das vordere Rad ist mit leichten Handbewegungen verstellbar, das hintere Rad, das mit den Beinen angetrieben wird, die auf der Stelle treten, bewegt das Ganze nach vorne. Auf gehobenem technischem Niveau zieht das Fahrradeine leidenschaftliche Liebe des spätmodernen Menschen auf sich, auf anspruchslosem Niveau war einst der junge Henry Miller maßlos davon fasziniert. Lange vor dem »Wendekreis des Krebses« erprobte er den engen, in jugendlicher Zeit ausufernd weit erscheinenden Wendekreis des Fahrrads, dessen stählerne Wirklichkeit zauberhafte Möglichkeiten des Lebens und der Liebe versprach. In einem kleinen Text ( Mein Fahrrad und andere Freunde. Erinnerungsblätter , 1978) schildert Miller, wie die Liebe zum Fahrrad ihn über die erste unglückliche Liebe zu einem Mädchen hinwegtröstete: Tag für Tag saß er von früh bis spät im Sattel, aus dem Fahrrad wurde sein bester Freund, ja, sein alter ego , mit dem er verschwiegene Gespräche führte. Anders als auf seine menschlichen Freunde konnte er sich auf das technische Gestell immer verlassen, das Andere für seelenlosen Stahl halten mochten, um dessen Seele er sich jedoch sorgte. Wie einer Geliebten ließ er dem Fahrrad die beste Pflege angedeihen und hätte es abends, wie seine Mutter argwöhnte, gerne noch mit ins Bett genommen, wäre das Bett nur groß genug für beide gewesen.
    So intim kann der Umgang mit Dingen sein, dass ein Mensch eine symbiotische Beziehung zu ihnen eingeht: Er kann mit dem Sessel verschmelzen, in dem er immer sitzt, und er kann undenkbar sein ohne seine Brille. Mit Hingabe kann er alte Dinge pflegen, die gerade in der Zeit des Immerneuen unendlich wertvoll erscheinen: Ein alter Koffer beispielsweise, materiell

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