Dem Leben Sinn geben
seine Frau in Berlin, und das war ja erst der Anfang. Im 21. Jahrhundertlassen sich beliebig viele Dinge in jeglicher Form mit 3-D-Druckern herstellen. Die zahllosen Dinge sind auf sorglosen Verbrauch angelegt, um so bald wie möglich neu gemacht und gekauft zu werden; eine bleibende Beziehung wäre dabei nur hinderlich. Eine funktionale Beziehung dominiert den Umgang mit Dingen, deren wesentlicher Zweck nur noch die Funktion ist, die sie zu erfüllen haben. Die Menschen verhalten sich gleichgültig zu ihrer Existenz, beachten sie im Moment ihres Kaufs, missachten sie in der Folgezeit. Funktionieren sie nicht mehr, ist das ihr Todesurteil: So beliebig, wie sie ins Haus gelangten, wandern sie in die Abfalltonne.
Das wesentliche Merkmal der technischen Produkte ist ihr bloßes »Vorhandensein«. Lieblos, zusammenhanglos, somit sinnlos werden sie angehäuft. Dass in moderner Zeit weit mehr Dinge als in vormoderner Zeit real werden können, hat weit häufiger die Erfahrung zur Folge, dass sich die realisierten Dinge kalt und leer anfühlen, sie bedeuten nichts mehr . Wärme und Fülle sind nur bei Dingen erfahrbar, zu denen eine Beziehung eingegangen wird und die etwas bedeuten .
Bedeutung kommt durch Beziehung zustande. Was geliebt wird, ist bedeutungsvoll. In der modernen Welt aber gibt es zu viele Dinge und unentwegt andere, als dass noch eine solche Beziehung zu ihnen entstehen könnte; es ist eine Welt, in der kaum noch jemand mit Liebe auf Dinge blickt. Die Unzahl der Dinge macht es unmöglich, noch eine Beziehung zu ihnen einzugehen, beispielsweise zu Fotos, von denen unendlich viele gemacht werden, aber nur wenige dem Grab des digitalen Archivs entgehen. Nur ein kleiner Teil des Spektrums der Liebe wird genutzt: Eine anfängliche Aufmerksamkeit, ein Flirt, eine Affäre, weniger eine Beziehung, deren Dauerhaftigkeit wenigstens beabsichtigt wäre, oder gar eine lebenslangeBindung, die durch alle Schwierigkeiten hindurch zu geliebten Dingen bewahrt werden könnte. Die »mangelnde Beziehung zu den Dingen« produziert die Langeweile, die für moderne Menschen epidemisch wird (Alberto Moravia, La Noia , Roman, 1960, Prolog).
Soll noch irgendein Sinn-Zusammenhang zwischen Menschen und Dingen zustande kommen, der zumindest zu ihrem Kauf verleitet, bedürfen die Dinge eines Designs , das sinnlich und sonstwie anspricht. Die Werbewirtschaft findet hier ein reiches Betätigungsfeld und wird zur Sinnproduktionsindustrie . Da aber jeder Sinn rasch in sich zusammenfällt, wenn der Zusammenhang zu lose ist, müssen stets neue Dinge mit neuem Sinn locken. Die alten füllen die Vitrinen von Museen ( Museum der Dinge , Berlin), in denen die ausgedienten Tassen, Flaschen, Hüte, Salbendöschen liebevoller gepflegt werden als zu Zeiten ihrer Funktionalität. Besonders problematisch ist die lose Beziehung bei essbaren Dingen, die mehr als einen Magen verderben und dauerhafte Spuren im Körper hinterlassen können: Im Mangel an Aufmerksamkeit auf sie kommt eine fehlende Beziehung des Selbst zu sich zum Ausdruck.
An all dem etwas zu ändern, steht dem Einzelnen nur bedingt frei. Funktionalität herrscht auch unter andersmodernen Bedingungen vor, aufzulockern ist sie nur durch die willentliche Begründung einer Beziehung zumindest zu einzelnen Dingen. Beziehungsfähig aber werden materielle Dinge , die anfassbar sind, in den Augen der meisten Menschen erst dann, wenn ideelle Dinge hinzukommen, die nicht so recht zu fassen sind: Ideen, Gedanken, Phantasien, Erinnerungen, Visionen, Träume, Begriffe, Bedeutungen, Werte, Sinn, kurz all das, was unter dem Begriff »Geist« zusammengefasst werden kann. Dafür, nicht um ihrer selbst willen, werden materielle Dingegeliebt. Oder gehasst, wenn sie eine Idee unzureichend verkörpern.
Beide Arten von Dingen brauchen sich wechselseitig: Materielle Dinge bedeuten nichts ohne Idee, ohne Sinn, ohne Geist. Ideelle Dinge sind unbefriedigend ohne materielle Erfahrbarkeit. Daher verlangt beispielsweise die Idee der Schönheit nach Materialisierung in schönen Dingen, etwa in Schmuckstücken oder Kleidern, bis hin zu »Fetischen«, jenen Dingen, die einem Menschen so viel bedeuten, dass er eine leidenschaftliche Liebe zu ihnen pflegt.
Eine ideelle Sache ist auch die Idee der Liebe , aber die bloße Idee stellt kaum jemanden zufrieden, daher das Streben nach Materialisierung in der Beziehung zu einem wirklichen Menschen und nach Symbolisierung in konkreten Dingen. Ein Symbol ist das gedachte und
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