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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Moderne bemühen sich Menschen mit Projektarbeit um die Verwirklichung von Ideen: Das »Projekt«, dasVorhaben, ist der moderne Prozess der Sinngebung schlechthin. Kommt es zu keiner Verwirklichung, bleibt es bei der Kluft zwischen dem möglichen Sein der Ideen, wie Dinge sein könnten, und dem wirklichen Sosein der Dinge, wie sie jetzt sind. Oder es wird ein unwirklicher Übergang versucht von einem Schein von Möglichkeiten, wo keine sind, zu einem Schein von Wirklichkeit, wo keine ist. Manche sind davon überzeugt, dass jede Wirklichkeit nur vergänglicher Schein ist, während Möglichkeiten das wahre, unvergängliche Sein sind.
    Wenn Dinge aber nur an ihrer Idee, also am Zustand ihrer Möglichkeit gemessen werden, ohne Rücksicht auf die Bedingungen einer Realisierung, kann eine Idealisierung die Folge sein. Sollte die heiße Sehnsucht nach einer Realisierung aufkommen und wirklich in Erfüllung gehen, kühlt die Beziehung zu den Dingen meist ab, denn im Zustand der Wirklichkeit verlieren sie an Glanz, »der Lack ist ab«. Mit jedem Eintritt in die Zeit, in die endliche und begrenzte Wirklichkeit wird der Verlust an Möglichkeiten schmerzlich spürbar.
    Jede Liebe ist mit diesem Problem konfrontiert, auch die Liebe zu Dingen. Sich dennoch für sie zu entscheiden, ist nötig, um Dingen und mit ihnen dem Leben Sinn abzugewinnen. Was es bewirkt, zumindest einzelne Dinge mit Liebe zu betrachten , wissen Romantiker: Heinrich Heine bemerkte auf seiner legendären Reise ins deutsche Mittelgebirge ( Die Harzreise , 1824), wie der Einfluss der Liebe die Dinge auf zauberhafte Weise belebt. Schwindet die Liebe, wird aus dunkel wogenden Tannenwäldern aber wieder das Holz, mit dem sich heizen lässt, und aus dem munter springenden Bach das Wasser, das nass ist. Die Düfte, die Heine romantisch, also mit Liebe, als »Gefühle der Blumen« bezeichnete, reduzieren sich für lieblose moderne Pragmatiker auf umherfliegende Moleküle.Könnten Menschen die Dinge mit sehr viel Liebe sehen, wären sie vermutlich imstande, in der Wasserflasche vor ihren Augen Venus von Milo zu erblicken. Wer liebt, sieht überall sinnvolle Zusammenhänge, wer nicht liebt, sieht nichts.
    Romantik heißt, das Lied zu hören, das in allen Dingen schläft (Joseph von Eichendorff, »Wünschelrute«, Gedicht, 1835). Romantiker erkennen darin die Wahrheit der Dinge, die ohne den Zauber der Liebe verkannt wird. Selbst Nietzsche bekennt sich zu dieser Methode und versteht die Liebe als Kunstgriff , um zum Wesen einer Sache zu gelangen und sie »wirklich« kennenzulernen: »Mit diesem Verfahren dringt man nähmlich der neuen Sache bis an ihr Herz« ( sic! , Menschliches, Allzumenschliches I, 1878, 621). Das Herz der Dinge, ihre »Seele«, ist der Punkt, aus dem heraus sie bewegt werden, die Bedeutung, die ihnen eigen ist, das Netz der Beziehungen, in das sie eingebettet sind: All das ist mit subjektiver Zuwendung und Einfühlung besser wahrzunehmen als mit objektiver Messung.
    Materielle Dinge, so denken moderne Menschen, hätten keine Seele, folglich könne es keine Einfühlung in sie geben. Dass Dinge eine Seele haben, lässt sich aber zumindest vermuten, wenn unter Seele die Energie verstanden wird, die zweifellos auch Dingen zugrunde liegt: So wird es vorstellbar, dass Menschen und Dinge seelisch miteinander kommunizieren können. Zumindest auf menschlicher Seite kann die Liebe eine energetische Bewegung sein, die sich in Gefühlen für Dinge äußert, und ein gedeuteter Zustand, der sich in Gedanken und Begriffen niederschlägt: Gefühle lösen Deutungen der Dinge, Deutungen wiederum Gefühle für sie aus.
    Wie aber sind die Dinge »wirklich«? Das können Menschen wohl nicht wirklich wissen, denn zu keinem Zeitpunkt können sie Dinge vollständig erfassen, auch nicht wissenschaftlich, denn dafür bedürfte es nichtmenschlicher Messgeräte, nicht von Menschen mit begrenzter Perspektive gebaut, justiert, programmiert. Der Maler René Magritte spricht in einem Brief vom 8. März 1955 von der »mysteriösen Existenz der Dinge«, die wohl einfach so sind, wie sie sind, ohne sich um ihre Bedeutung zu kümmern. Sollte einem Menschen aber ein Leben mit Dingen, deren Bedeutung unklar ist, bedeutend weniger lebenswert erscheinen, spricht alles dafür, ihnen Bedeutung zu geben, und dazu ist die Liebe am besten geeignet.
    Nicht die autonome Bedeutung, die Dingen vielleicht von innen her eigen ist, sondern die heteronome Bedeutung, die ihnen von außen zugesprochen

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