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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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aus guten Gründen im Neuen Testament ( Johannes-Evangelium , 1, 18). »Niemand hat Gott je geschaut« (1. Johannesbrief , 4, 12).
    Was mit Gott gemeint ist, dürfte in jeder Hinsicht jenseits menschlicher Attribute sein, die ihm trotz allem so gerne nachgesagt werden. Dass er selbst sich für diese Zuschreibungen interessiert, ist kaum vorstellbar, eher interessiert er sich für nichts, denn sich für etwas zu interessieren, ist typisch für endliche Wesen. Alle Wirklichkeit, wie Menschen sie kennen, unterliegt der Endlichkeit, also kann Gott, wenn er unendlich sein soll, nicht wirklich sein, allenfalls kann Wirklichkeit eine seiner Möglichkeiten sein, ein kleiner Teil seines Seins. Wahrscheinlich ist ihm auch keine Geschlechtlichkeit eigen, wie sie für Menschen typisch ist, kein Er , kein Sie , allenfalls ein Es , etwas Unbestimmtes. Und »es« befindet sich wohl jenseits von Kategorien wie Gut und Böse, deren Geltung außerhalb der menschlichen Sphäre kaum vorstellbar ist; jenseits auch von Gerechtigkeit, wenngleich viele mit einer Inbrunst an die Gerechtigkeit Gottes glauben, als könnte diese Dimension ernsthaft nach menschlichen Maßstäben organisiert sein, um irdische Ungerechtigkeiten auszugleichen und im Ganzen und im Detail den Menschen den Weg zu weisen. Womöglich ist Gott noch dazu jenseits von Intelligenz, wie sie Menschen, aber nicht unbedingt dem Designer eigen sein kann, der entweder hyperintelligent ist oder ohne jede Intelligenz auskommen muss. Was will Gott? Möglicherweise nichts, denn auch das Wollen ist eher eine menschliche Kategorie.
    Jede Definition Gottes bringt das Problem mit sich, etwas festzulegen, von dem zugleich behauptet werden muss, dass es nicht festzulegen ist, und etwas einzugrenzen, von dem Grenzenlosigkeit angenommen werden muss: Problem jeder Theologie, die dogmatisch statt hermeneutisch, also deutend verfährt. »Gottesbeweise« sind in der Geistesgeschichte immer wieder versucht worden, aber jede Beweisführung für die Existenz Gottes ist eine unzulässige Engführung dessen, was bewiesen werden soll. Beweise liefern bestenfalls Hinweise darauf, dass die Frage nach einer anderen Dimension des Lebens und der Welt nicht schon mit einem Durchstreichen des Wortes »Gott« beantwortet ist. Gegenbeweise wie beispielsweise die Beobachtung, dass beim Denken an eine solche Dimension einige Hirnregionen aktiver sind als andere (Ulrich Schnabel, Die Vermessung des Glaubens , 2010), lassen nicht den Schluss zu, es handle sich um eine bloße Projektion von Neuronen, denn sonst ist alles nur Projektion. Gott könnte auch die große Gleichgültigkeit des unendlichen Raumes sein, dessen Kälte und Leere zu Aussagen anregt, die wärmen sollen, und zu Deutungen anleitet, die Fülle verheißen.
    Der menschlichen Fassbarkeit wegen wird das Unfassbare in Geschichten zu fassen versucht, die stets weiter ausgeschmückt werden und von exemplarischen Inkarnationen des Unendlichen im Endlichen erzählen, etwa in der Gestalt eines Moses, Krishna, Buddha, Jesus, Mohammed und aller Heiligen. Die Gründe für diese Narrativierung und Personalisierung des Unendlichen sind auf der Seite des Menschen selbst zu finden: Das Denken in Kategorien der Unendlichkeit, diealle Möglichkeiten umfasst, bleibt zu abstrakt, es bietet keinen Anhaltspunkt für eine Beziehung. Geschichten und Bilder hingegen erlauben eine konkrete Vorstellung von »ihm« und ermöglichen eine persönliche Beziehung zum Unendlichen, das wie ein Mensch angesprochen und geliebt werden kann, selbst auch wie ein Mensch spricht und antwortet und seinerseits liebt. Das ganz Andere, das absolute Darüberhinaus erscheint in der Vorstellung vertraut wie ein jederzeit ansprechbares Gegenüber, zu dem gesagt werden kann: »Meine Zeit ist in deinen Händen« (Psalm 31, 16).
    Einer solchen Beziehung wegen versuchen Menschen sich vorzustellen, was unvorstellbar ist, und zu poetisieren, was womöglich sehr prosaisch ist. Den Intellekt spricht vielleicht die Deutung an, dass Gott etwas ist, das alle Einzelphänomene umgreift, das Ganze aller Wirklichkeit und Möglichkeit, ein Name für die Fülle des Sinns, für alle Zusammenhänge, aus denen heraus alles Einzelne für begrenzte Zeit auflebt und nach dieser Zeit zu ihnen zurückkehrt. Das poetische Gefühl aber wird eher berührt, wenn Rainer Maria Rilke in seinem Herbstgedicht ( Buch der Bilder , 1902/1906) von der Erfahrung der Vergänglichkeit und zugleich der Geborgenheit spricht:
    Wir alle

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